Direkt zum Hauptbereich

Fires on the Plain / Nobi (Kon Ichikawa, Japan 1959)


Soldat Tamura (Eiji Funakoshi) wird von seinem Vorgesetzten mehrfach ins Gesicht geschlagen und 5 Minuten ununterbrochen angebrüllt. Der tubekulosekranke Soldat erträgt die Demütigung, nur um mit etwas Essen und einer Handgranate erneut zum Lazarett geschickt zu werden. Dort solle er sich nicht wieder fortschicken lassen, denn mit seiner Krankheit sei er hier an der Front nicht zu gebrauchen. Sollte er erneut abgewiesen werden, dann soll er sich selbst - ein letzter Dienst für die japanische Armee - mit der Handgranate in die Luft sprengen....

So beginnt dieser s/w- Film, der 1945 auf den Philippinen spielt. Die Amerikaner sind bereits gelandet, die japanische Armee nur noch ein zersprengter Haufen ausgezehrter Soldaten, mehr tot als lebendig. Es geht nur noch darum zu überleben, und dazu ist jedes Mittel recht: auch Kannibalismus.
Der Film erzählt vom Weg Tamuras zu einem (utopischen ?) Stützpunkt seiner Armee, von dem die Heimreise angetreten werden kann. Sein Weg gleicht einem Taumel in der Hitze, der Gefahr, den Bombenangriffen, den wahnsinnig gewordenen Soldaten ringsum, dem allgegenwärtigen Hunger.
Ichikawa findet niederschmetternde Bilder für die Zerstörung und eine zerrüttete Narration spiegelt die Psyche der/des Soldaten. So fügen sich in diesem Film eher Stationen innerhalb eines Erzählrahmens zusammen, die nach und nach abgeschritten werden, als daß ein herkömmlicher Handlungsablauf im Sinne eines "Spielfilms" präsentiert würde. Der emotionale Zugang fällt naturgemäß schwer bei all dem Nihilismus, und manchmal kommt einem Tamura wie eine Hiob-Leidensgestalt vor, der mehr erträgt, als er tragen kann. Dennoch klagt er nicht, ist er ja eigentlich längst schon tot. Kriegsfilme dieser Art lassen vergleichbares aus Amerika aussehen wie war-porn, auch wenn diesem Film vorgeworfen wurde, er würde nur das individuelle Leiden des Japaners zeigen, nicht aber die Greueltaten der japanischen Armee.

Dieser Film ist sehr rauh und fern allen Heldenglanzes. Im Kopf bleiben viele eindrucksvolle Bilder, der leere Blick durch den durchgelatschen Schuh etwa, dem die Sohle fehlt, das wahnsinnige Grinsen des blutverschmierten Kannibalen, der Regen, die ausgemergelten Körper.

Die Feuer auf den Ebenen, die die Farmer entzünden, symbolisieren die Sehnsucht Tamuras nach einer friedlichen ländlichen Alltagsidylle, die er nie wieder erleben wird. Denn schon zu Beginn des Filmes ist er ein kranker, wandelnder Toter.
Eindrückliches und niederschmetterndes Kino.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m