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THE BALLAD OF NARAYAMA (Shohei Imamura, Japan 1983)


In einem kleinen Bergdorf gilt die grausame Tradition, daß jeder, der das 70. Lebensjahr erreicht, sich zum Sterben auf den Berg Nara zurückziehen muß. Das sichert unter Anderem das Überleben der Familie, da diese Menschen in erbärmlichster Armut ihr Dasein fristen und sich autark von selbstgeführter Landwirtschaft ernähren müssen. Das bißchen Grünzeug wird der rauhen Natur abgetrotzt, denn es ist kalt dort oben, der erste Schnee fällt früh. Orin (Sumiko Sakamoto) hat ihr siebzigstes Lebensjahr erreicht, nun ist sie an der Reihe. Ihre Familie sperrt sich gegen die Tradition da sie noch bei bester Gesundheit ist, insbesondere der älteste Sohn Tatsuhei (Ken Ogata) kommt mit dem Abschied nicht zurecht. In einer schrecklichen Szene schlägt sie sich selbst die Vorderzähne an einem Mühlstein aus, um zunehmende Gebrechen vorzutäuschen. Denn sie weiß, das beste was sie für ihre Kinder tun kann, ist sterben.

Ein spröder Film von Imamura, einmal mehr. Schöne Landschaftsaufnahmen bar jeder Romantik werden mit der harten Realität der Bauern verknüpft, mit einem Portrait, einem Ausschnitt aus dem Leben der Dorfgemeinschaft. Da geht es vor allem um das Essen, was konkret 'Überleben' meint, um Diebstahl, Sexualität, Gewalt und Vergewaltigung, Tradition und Individualität. Und wie immer bei Imamura: um das große Ganze irgendwie. In allegorischen Bildern werden Ausschnitte aus dem Lebenskreislauf gezeigt: Die Ratten fressen die Schlange, die Schlange die Maus, der Häher die Schlange, die Menschen den Hasen, der Rabe den toten Menschen, usw usf. Da kommt einem der Kurzfilm Imamuras aus der 9/11- Zusammenstellung (Eleven Minutes, Nine Seconds, One Image: September 11) in den Sinn. Von der Ästhetik ist das sehr ähnlich in diesen Szenen. Fraglich aber, ob das dem Film gut tut, ihn metaphorisch noch weiter aufzuladen, als er es sowieso schon ist. Denn Themen werden hier so einige verhandelt. Richtig gut ist allerdings der Schluß. Da stellt sich ein Moment der Erhabenheit ein, bei dem der Film dann tatsächlich über sich selbst hinausstrahlt.

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Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m