Direkt zum Hauptbereich

Stanley Kubricks KILLER'S KISS vs BRANDED TO KILL von Seijun Suzuki


Beide Filme in körnigem Schwarzweiß. Da kann man eigentlich schon beginnen mit der Interpretation. Beide Filme: Noir-Adaptionen. Bei Kubrick mit Engagement: auch Melodram, Großstatdtfilm, Boxerfilm. Hitchcock. Genremixer. Die Helden geraten in die Malaise, aus der kommen sie kaum wieder raus; Schuld daran hat auch wieder einmal: die Frau. Bei Kubrick in blond, als Gegensatz zur allesumfassenden Düsternis, zum Grau des Mietzimmers hoch über den Straßenschluchten. Wer so lebt hat nur zeitweise einen Vertrag mit seinem Leben. Morgen können die Koffer schon gepackt sein, der Zug bestiegen und: wo geht's hin? In eine andere Großstadt, klar, auf's Land wäre keine Option.

Bei Suzuki ganz anders: volle Konzentration auf das Noir-Drama. Wobei wenn man bei Suzuki sagt: Drama, dann meint man immer auch: Komödie. Aber mit dem ureigenen Suzukihumor. Ist ja nicht so, daß das direkt lustig wäre, was man da sieht. (Ausnahmen gibt es aber auch: in DETECTIVE BUREAU 2-3: GO TO HELL BASTARDS (1963) zeigt uns Suzuki einen Ermittler, der mit einer Uzi, um seine Geliebte zu befreien, ein kreisrundes Loch in die Betondecke über ihm schießt - diese bricht ein, und die Geliebte, die gefesselt auf einem Stuhl genau an ebendieser Stelle eine Etage über ihm saß, landet in seinen Armen.) Aber da Suzuki immer weiß, daß er zitiert sobald die Kamera läuft und dass er das, was er gerade zeigt, eigentlich nicht zeigen kann, zeigt er es anders. Mit einem Augenzwinkern, das man nicht sieht. Man sieht das erst, wenn man ein paar von diesen Filmen gesehen hat. Und weiß, daß Suzuki ein Auftragsfilmer ist, ein Vielproduzent, eine Nikkatsu-Hure, die alles filmt, was ihm auf den Tisch gelegt wird. Eine sympathische Hure. Einer der weiß, daß er die Welt nicht verändern wird, daß er nur ein mittelmäßiger Regisseur ist, einer, der vielleicht mal Glück gehabt hat und einen Nerv getroffen hat mit seinen Bildern. Einer, der deswegen völlig befreit auffilmt, anarchisch wird, innerhalb des Systems auf Konventionen scheißt und aneckt. Der von einer Szene knallhart auf die nächste schneidet - Blende?, warum blenden, das hält doch nur auf! Musik abgeschnitten, mitten in der Melodie: egal. Hier wird es dann ruppig, boah, denkt man sich, das ist ja der Hammer. Jump-cut brutal. Suzuki ist das egal, glaube ich, der will dass es weiter geht. Er zerstört die Konventionen des filmischen Erzählens und darf dafür seinen Hut nehmen: Nikkatsu schmeißt ihn raus.

Kubrick: nö. Immer sauber bleiben. Zeigen, was man kann. Am Ende von KILLER'S KISS, als ihm die Zeit wegläuft, weil er so einen wunderbar kurzen, knackigen Film produziert, muss er trotzdem noch zeigen, dass er alle Blenden kann. In knapper Folge dann kommt das. Ein Problemkind. Steht auf den Tisch und schreit: hier! Doch zum Ärgern ist keine Zeit: Kubrick fährt mit Bildern auf, vor allem gegen Ende, die sind direkt aus seinen Photographien auf das Zelluloid gebeamt. Große Klasse. Perspektiven, Gebäude, Schluchten, Einsamkeit, kalte Welt. Man ahnt, wozu der Mann fähig sein wird.

Die Bilder gibt es auch bei Suzuki. Aufschreien möchte man, halt halt, das will ich nochmal sehen! Wenn man nur den Plot besser verstünde! Damit muss man halt zurecht kommen, mit diesem Suzukischen Storychaos. Der Film fängt halt irgendwo an und endet dann nach 80 Minuten. Am besten sind dann alle tot. Angst muss man deswegen nicht haben, Noir-Plots sind ja auch immer irgendwie gleich.
Fein die Frauen in BRANDED TO KILL: die supernervige hysterische Gattin, die stets nackt und beischlafbereit durch die Style-Wohnung hetzt und lust auf Töten hat. Wie auch der love interest, eine schwarzhaarige Schöne, die Joe Shishido schon längst in ihren Fängen hat. Als sich das Blatt dann wendet und alles den Bach runtergeht sieht er sich den 16mm-Film an, den die Gangster schicken. Projektor an: die Geliebte in den Klauen der Gangster, brutale Flammenfolter. Shishido springt auf rast auf das Filmbild zu, will sie retten. Doch es ist der Film im Film! Er packt die Waffen ein und macht sich auf zum letzten Kampf am Hafen.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

Kandagawa Wars / Kandagawa Inran Senso (Kiyoshi Kurosawa, Japan 1983)

Zwei aufgedrehte Mädels beobachten mit ihren Ferngläsern des Nachts nicht nur die Sterne am Firmament, nein, sondern auch den Wohnblock auf der anderen Seite des Flusses gegenüber. Dort nämlich spielt sich Ungeheuerliches ab: ein junger Mann, der sich für Godard, John Ford, Deleuze und seine Querflöte interessiert, wird von seiner Mutter in regelmäßigen Abständen zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Diese inzestuöse Schweinerei können die beiden nicht mehr länger tolerieren und so planen sie, den Unterdrückten aus seiner Sexhölle zu befreien - um ihn selbst zu besteigen, quasi als Heilmittel. Dabei haben sie nicht bedacht, dass der junge Herr vielleicht sogar ganz glücklich war mit seinem Muttersöhnchenstatus. Einmal fremdgegangen, will er sich direkt von der Brücke stürzen. Zudem wäre auch im eigenen Bette zu kehren: denn eine der beiden aufgeweckten Freiheitskämpferinnen wird selbst recht ordenlich unterdrückt. Ein ekliger Brillentyp, sowas wie ihr Freund, besteigt sie in unersättli