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Aibu / L'amour (Heinosuke Gosho, Japan 1933)

Shomingeki deluxe, dazu ein Stummfilm. Gosho erzählt eine scheinbar simple Geschichte aus dem Leben der einfachen Leute, mit allen Höhen und Tiefen. Als Goshos Lehrer gilt Yasujirô Shimazu, der auch die berühmten Regisseure Yasujiro Ozu und Mikio Naruse zu seinen Schülern zählen darf. Insgesamt drehte Gosho fast 100 Filme.

In diesem erwarten uns die für dieses Genre typischen Charaktere: der besorgte, manchmal strenge Vater, der aber die Liebe zu seinen Kindern über alles stellt, vor allem über sein persönliches Glück. Die Tochter, die sich für jemanden, oder für eine Sache aufopfert. Der Sohn, der in die weite Welt hinausgeht, und sich dort neuen, für die zurückgebliebenen unbekannten, Problemen stellen muß. Meist kommt noch eine geliebte Frau hinzu, die Tochter soll verheiratet werden, und irgendwer stirbt - meist ein Elternteil.
So ist es auch hier. Der Vater, ein im Dörfchen respektierter Arzt, verliert das Vertrauen seiner Patienten, als er eine beinah fatale Fehldiagnose stellt. Die Sache setzt ihm dermaßen zu, daß er sich zur Ruhe setzen möchte. Seine Tochter soll nun verheiratet werden. Seinem Sohn Hideo möchte er noch den Weg für dessen medizinische Karriere ebnen. Mehrere Kontaktaufnahmen zu dem in der Stadt studierenden Sohnes scheitern, sodaß sich die liebevoll sorgende Tochter Machiko auf den Weg macht. Dort trifft sie aber nur auf die Geliebte ihres Bruders, und wird mit der harten Realität konfrontiert: nach einer nächtlichen Sauftour kehrt Hideo zurück und trifft seine Geliebte und die Schwester aufgelöst vor Sorgen an. Alles gute Zureden der beiden Frauen, die ihm auch an seine Verpflichtung gegenüber dem Vater erinnern, scheitern. Er wolle ein Schriftsteller werden, und nicht die vom Vater gewünschte Laufbahn des Arztes weiter verfolgen. Das Studium war also umsonst. Sein rüpelhaftes Benehmen verstört die Schwester zutiefst, und das Leid, das er seiner Geliebten zufügt, ist auch eine Gewalt, die er sich selbst antut. Als der Vater von den tatsächlichen Verhältnissen erfährt, ist er tief geschockt und fällt in Ohnmacht, woraufhin er stark erkrankt. Erst die Nähe zum Tod vermag den bockigen Sohn zu einem Einlenken zu bewegen, und er macht sich auf den Weg zu seinem Vater.

Ein wunderbarer Film, voller Details und liebenswerter Kleinigkeiten. Alle Charaktere werden in ihrer Komplexität gezeigt, selbst unbedeutenderes Randpersonal wie der Rikschafahrer ist nicht nur der comic relief, sondern eine eigenständige Person. Mit oft nur kurzen Momenten und wohl ausgesuchten Handlungsschnipseln erreicht er eine sehr große Nähe zu seinen Charakteren, sodaß deren Motivationen, Gedanken und Sorgen immer plausibel erscheinen. Ein psychologischer Erzähler, der wert auf eine flüssige Narration legt, und dessen Film eine stark poetische, zugleich einfache Aura ausstrahlt.

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Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m