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In Public / Gong gong chang suo (Zhang Ke Jia, China 2001)

In diesem Kurzfilm von nur 30 Minuten gibt es keinen handelsüblichen Plot, keine Darsteller, keine Beleuchtung, keine Filmmusik. Nur eine Kamera und ihr Dokument.


Ein Busbahnhof: einige warten, andere kommen an. Ein Mann ist nervös, dann empfängt er seine Frau und seinen Sohn, die von der Reise zurückkehren. Dann eine Bushaltestelle in einer vom Kohlebergbau grau gewordenen Stadt. Ständig fahren schwer beladene Laster vorbei. Im Hintergrund die Stadt, Wohnblocks. Der Bus kommt, Menschen steigen aus, ein, eine Frau verpasst den Bus. Dann ein Bahnhofswarteraum, ein alter Funktionär sitzt grinsend im Rollstuhl, die Ticketfrau reißt Karten ab. Schnitt auf einen Tanzsaal, ältere Paare drehen sich im Kreis.


IN PUBLIC ist also dokumentarisches Kino, ein weiteres Puzzleteil in Jia Zhang-kes Projekt, das zeitgenössische China durch eine Form des dokumentarischen Realismus zu erfassen und darzustellen. Ein Film, der in seiner nüchternen Teilhabe des Alltags vor den Kopf stoßen mag. Eine Herangehensweise, in der sich "die Geschichte" im Kopf des Zuschauers formt. Der Film gibt die Frage, "was Film soll", also an den Zuschauer zurück und vergrätzt so diejenigen, die eine Geschichte im herkömmlichen Sinne geboten bekommen wollen. Fragen, statt Antworten. Klar, warum soll man sich ewig lange einen Busbahnhof irgendwo im hinterlandigsten China ansehen? Es sind eben andere Fragen, die hier gestellt werden. Und dann muss ich sagen, ich könnte mir ja sowas stundenlang anschauen.


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Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m