Direkt zum Hauptbereich

Solang ich lebe / Jab Tak Hai Jaan (Yash Chopra, Indien 2012)


Der stille Eigenbrötler Samar (Shah Rukh Khan) arbeitet für das indische Militär als Bombenentschärfer, wo er sich einen legendären Ruf als "Mann, der nicht sterben kann" erworben hat. Im Gegensatz zu seinen Kollegen trägt er bei seinen Einsätzen nämlich keinen der dicken, unförmigen Schutzanzüge und Gesichtsmasken, sondern geht mit bloßen Händen und im Grünzeug an die Sache ran. Weshalb nun der schöne Unzugängliche so rücksictslos mit seinem Leben spielt, diese Geschichte erzählt JAB TAK HAI JAAN.

Es ist freilich die Geschichte einer unerfüllten Liebe, die hinter seinem persönlichen Unglück steht. Die eines Schwurs im Geiste der Religion, die seine Geliebte von ihm fernhält. In einem Rückblick blättert der Film die Geschichte der beiden ungleichen Liebenden auf: in London soll die schöne Meera (Katrina Kaif), Erbin eines Supermarkt-Tycoons (Anupam Kher), an einen erfolgreichen Karrieremenschen verheiratet werden. Da sie der Augapfel des Vaters ist, wagt sie nicht zu widersprechen. Denn das Trauma sitzt tief: ihre eigene Mutter hatte die Familie für ihre große Liebe vor Jahren verlassen, der Vater hat die Tochter alleine aufgezogen. Sich dem Willen des Vaters zu widersetzen scheint demnach unmöglich. Doch leider lernt sie kurz vor der Verlobung den Straßenmusiker Samar kennen (der dann später frustriert zum Militär geht), der sie mit seiner Lebenslust anzustecken weiß, und der Dank seines freundlichen Wesens bald selbst Karriere in einem Restaurant macht. Doch die zunehmende Annäherung der beiden macht Meera moralisch schwer zu schaffen, und als Samar bei einem Motorradunfall schwerstverwundet um sein Leben ringt, glaubt die Gläubige Meera, von Gott bestraft zu werden. Also bietet sie ihm einen Deal an: wenn er das Leben Samars verschone, gelobe sie, ihn niemals wieder zu sehen. Freilich wird ihr Flehen erhört, doch Samar kann ohne sie nicht sein. Er geht zurück nach Indien.

Dies der Hauptplot des Films, der noch von einigen Subplots unterfüttert wird, vor allem von einer zweiten Liebesgeschichte, die auch eine unerfüllte sein wird. Die lebenslustige Akira (Anushka Sharma) dreht eine Dokumentation über den mutigen Soldaten, verliebt sich, doch hat bei ihm kein Glück. Selbst Jahre nach der Zurückweisung kann sich Samar nicht öffnen. Doch die Geschichte nimmt dann einen ganz unerwarteten Verlauf. Wie man so sagt. Ganz so unerwartet ist er Dank der Gesetze des Liebesfilms nämlich nicht...

In prächtiger digitaler Qualität wird man hier drei Stunden lang ganz hervorragend im Kino unterhalten. Yash Chopra, nun 80jährig verstorben, der "Großmeister" des indischen Romantikkinos (VEER UND ZAARA, MEIN HERZ SPIELT VERRÜCKT, DARR) versteht natürlich sein Werk, schert sich nicht um den Kitsch, bietet die  volle Breitseite in einer Geschichte des Liebesverzichts. Dass die für einander Bestimmten am Ende zusammen kommen, dürfte klar sein. Allerdings fällt das Happy End doch sehr unspektakulär aus, sowohl in Bild und Ton. Chopra ist vielmehr an der Darstellung der Leidenden, des Liebesleids, interessiert, und an den romantischen Funken des ersten Kennenlernens. In den ersten zwei Dritteln des Films sind dann auch die Songs und Tanznummern platziert, die unverhohlen ziemlich modern ausfallen mit ihren elektronischen Beats. Hier und hier und hier drei Beispiele.

JAB TAK HAI JAAN hat seine Schwächen. Etwa die unmögliche Anfangsszene am See, aus dessen Fluten Samar Akira nicht nur retten muss, sondern dann auch noch per Herz- Lungenmassage wiederbelebt. In der doch ziemlich unglaubhaften Verzichts-Prämisse des religiösen Gelöbnisses, das die Konflikte erst auslöst. In der generell auf den europäischen Markt schielenden Produktion. In seinen immer wieder abstrusen Wendungen, die in der Unbekümmertheit ihrer Darstellung aber zugleich sehr entwaffnend sind. SOLANG ICH LEBE ist eine übergroße Romanze zum Wohlfühlen, die trotz ihrer Schwächen großen Spaß macht.

Michael Schleeh

***

Solang ich lebe / Jab Tak Hai Jaan ist in verschiedenen Fassungen
bei Rapid Eye Movies erschienen:
reguläre DVD
3-Disc-Import-Version
Blu-ray

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

HKIFF 2019 ~ Three Husbands (Fruit Chan, Hongkong 2018)

Im dritten Teil seiner Prostitutions-Trilogie , achtzehn Jahre nach Durian Durian (2000) und dem großartigen  Hollywood Hong Kong  (2001), verknüpft Hongkongs Independent-Regielegende Fruit Chan mehrere bisweilen schwer erträgliche Erzählstränge zu einem allzu offensiven Missbrauchsdrama.  Inhaltlich relativ komplex und stark verwoben mit seinem Handlungsort Hong Kong und den umliegenden chinesischen Provinzen, wird die Hauptfigur Ah Mui von der furchtlosen Chloe Maayan als geistig  leicht behindertes Tanka-Boot - Mädchen kongenial gespielt. Eine junge Frau, die von ihren drei Ehemännern an jeden dahergelaufenen Zahlungswilligen verkauft wird. Der Film ist allerdings ästhetisch unfassbar krude umgesetzt, vor allem wenn es um die Metaphorik für den Geschlechtsakt oder generell die weibliche Fruchtbarkeit geht, deren Bann sich "der Mann" wie schicksalshaft einfach nicht entziehen kann.  Die Inszenierung des weiblichen Geschlechts in seinen verschiedenen metaphorisie

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne