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Chennai Express (Rohit Shetty, Indien 2013)



Der Medien-Buzz um CHENNAI EXPRESS ist sensationell. Zumindest in Indien. Das "highest grossing movie ever" ist ein Kassenknüller und die Stimmen überschlagen sich, z.B. auf Twitter, wer wann wo wie oft den Film schon im Kino gesehen hat. Ram Gopal Varma war schon fünf mal drin, behauptet er. Nun, vielleicht wird der Film ja tatsächlich immer besser, je öfter man ihn sieht, wie auch Shah Rukh Khan auf seinem Account verlauten lässt. Luft nach oben jedenfalls ist reichlich, in dieser unausgegorenen und unebenen Liebeskomödie, die am Anfang ganz schön Spaß macht, dann am Ende aber gut eine halbe Stunde zu lang ist und die sich nach der Intermission ganz schön dröge Richtung Finale schleppt.

Dabei macht der Film alles erstmal genau so, wie man es erwartet: schöne Menschen vor schönen Landschaften, Liebeskonflikte, Heiratsversprechen versus Individualismus, die Tochter, die vor dem patriarchalischen Vater davonrennt. Und nur bedauerlich für den Helden, dass das hübsche Mädchen, der er allzu gerne die helfende Hand entgegenreckte, als sie auf den Zug aufsprang, die Tochter eines Gangsterbosses ist. Und er - wie in einem Sinnbild - selbst dran Schuld ist, wie er in die Geschichte reinrutscht: denn auch den Verfolgern reicht er die Hand im guten Glauben, sie würden lediglich den Zug verpassen. Kurz darauf hat er dann die Macheten der Tamilen am Hals, wie man im Trailer sehen kann. Und weil er nicht nein sagen kann, darf er bald den Geliebten der jungen Dame spielen, der sie aus dem Schlamassel befreien soll. Und wie das dann so ist, man lernt sich kennen...

Rohit Shetty, von dem jüngst der überdrehte Actionfilm SINGHAM völlig überzeugen konnte, liefert hier jedoch nur völlig standardisierte Konsumware ab. Interessante Bilder gibt es kaum welche in CHENNAI EXPRESS, originelle schon gar nicht. Shah Rukh Khans Figur des treudoofen und gutherzigen Schwiegermutterlieblings, der es faustdick hinter den Ohren hat, wird völlig in den albernen Overdrive hineininszeniert. Der Mann muss hier Grimassen schneiden wie in einem Highschool-Fernsehfilm, was schon manchmal mehr als nur an der Peinlichkeitsgrenze entlang schrabbt. Die Action jedoch, auf die ich dann noch gesetzt hatte, ist völlig gesichtsloses Gehampel. Die Verfolgungsjagden lassen die Rhythmik und das Gespür für die Power, die etwa SINGHAM auszeichnete, vermissen. Man ist dann entsetzt etwa, wenn es einen Verfolger auf einem Motorrad über den Lenker schlägt, sodass er sich beinahe das Rückgrat bricht - Härte statt Raffinesse also. Ebenfalls am Ende, beim Schlusskampf mit dem Rivalen, der zwei Meter groß ist und ein grimmiges Muskelpaket, Sohn des Dons vom Nachbardorf und ausgewählter Gatte Deepika Padukones. Extreme Härten bei diesem Kampf mit Faust und Machete, wo SRK seinen Mann stehen muss. Und nicht nur das: was will uns dieser Film eigentlich damit sagen, wenn dann doch derjenige am Ende die Frau bekommt, der dem Gegner am heftigsten aufs Gesicht haut - auch wenn er der Gute ist? So genau möchte man da gar nicht mehr drüber nachdenken, was da für ein problematisches Bild transportiert wird.

Inwiefern auch in CHENNAI EXPRESS wieder die Inszenierung des ruralen Dorfes im Gegensatz zur Großstadt zu lesen ist, also im Sinne eines etwa möglichen konservativen Backlashes im gegenwärtigen Hindi-Kino, kann ich nicht sagen. In diesem Film aber leben - wie in SINGHAM - die Clanlords vor der Stadt und regieren ihre eigene Welt. Sie haben sogar eigene Bahnhöfe, nämlich dort wo sie wollen und wo die Gangster die Notbremse ziehen. Wer würde sich beschweren, wenn 200 machetenbewaffnete Verbrecher auf der Plattform stehen? Und was ist eigentlich Shah Rukh Khans Verständnis von Schauspielerei, in Zeiten, wo er sich selbst als postmodern selbstreflexive Figur immer wieder neu inszeniert und wo jede Inszenierung seiner Person sich dieses Prozesses bewusst ist? Kann der Mann eigentlich überhaupt noch eine Charakterrolle spielen oder re-inszeniert er immer nur weitere Schnipsel seiner bisherigen Filmfiguren in bunt zusammengewürfelten Pastiches? Fragen, die bleiben, wenn man den Film schon längst wieder vergessen hat...

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