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Songlap (Effendee Mazlan & Fariza Azlina Isahak, Malaysia 2012)


Im Schatten der Hochhaustürme von Kuala Lumpur spielen sich Dinge ab, von denen normalsterbliche Touristen keine Ahnung haben. Zwei Jugendliche, beste Freunde, streunen durch die Straßen, mit geborgtem Geld, das aus kriminellen Quellen kommt, albern herum, nehmen Drogen, schlafen ein in einer Bauruine. Am nächsten Morgen ist einer der beiden tot: Überdosis Heroin. Die beiden Brüder Ad (Syafie Naswip) und Am (Shaheizy Sam) stehen im Mittelpunkt der Geschichte von Songlap: sie haben sich an ein Kartell verdungen, das mit Menschenhandel großes Geld verdient. Einerseits werden Babys an reiche Bildungsbürger verschachert, die keine Kinder bekommen können, andererseits werden die Mütter, die diese ungewollten Kinder loswerden wollen und die sich unter dem Deckmantel einer gemeinnützigen Organisation in deren Obhut begeben, nach der Geburt an andere Menschenhändler aus Thailand weiterverkauft, oder auch direkt an einen örtlichen Bordellbesitzer. Der Plot bekommt dann seinen inneren Konflikt dadurch, dass auf einmal die Schwester des obigen besten Freundes von Am in dieser Welt auftaucht. Auch sie will ihr noch ungeborenes Kind loswerden. Doch Ams schlechtes Gewissen regt sich, und außerdem ist das Mädchen mit ihren Rehaugen nicht nur beschützenswert, sondern auch noch sehr attraktiv. Am lehnt sich gegen das Kartell auf und zieht seinen Bruder Ad mit in einen Strudel aus Gewalt hinein.

Songlap ist ein typischer mixed bag: zum einen macht der Film sehr vieles richtig, etwa die Bilder sind oft großartig, er ist häufig enorm spannend (sprichwörtlich edge of the seat), auf der anderen Seite haben wir es mit einer unguten Überfrachtung an sozialen und gesellschaftskritischen Themen zu tun, die auch noch durch die prekäre Familiengeschichte an Volumen gewinnt. Diese steht auch erstmal im Zentrum des Films, wenn die Welt der zumeist noch jugendlichen Gangster installiert ist: der absente Vater, der Streit der Brüder, die Mutter eine Prostituierte, die ihre Kinder nicht mehr erkennt (Am, der sie beim Herumstreunen zufällig entdeckt, geht irgendwann ständig zu ihr und bezahlt sie dafür, dass er mit ihr reden kann - sie erkennt ihn nicht, er spricht mit ihr, ohne seine Identität zu enthüllen), und auch die Frage, wer der Vater des Kindes von Rehauge ist, zieht natürlich alle Register der allzu erwartbaren familiären, häuslichen Gewalt. Da droht der Film mehrfach in Elendskitsch abzugleiten. Auf der anderen Seite werden diese Aspekte immer durch die Glaubwürdigkeit der wirklich tollen Schauspieler aufgefangen und, ja, auch aufgehoben. Man ist sich ihrer bewusst, ohne dass sie den Filmgenuss völlig verderben könnten. Zumal man ja sowieso immer auf der guten Seite steht, mit dem erwachenden Gewissen Ams.

Songlap ist durch und durch ein Genrefilm und ein Bandenfilm. Mit der Kamera bleibt man stets beim Brüderpaar, dicht an den Figuren, auch an den anderen Gangstern, die hier von herumstreunenden Jugendlichen verkörpert werden. Für die Opfer interessiert er sich nicht. Da ist nichts overstyled, keine coolness, kein larger than life in ästhetischer Hinsicht. T-Shirt und Badeschlappen. Der Film ist naturalistisch und gritty, die Überformungen, die man von koreanischen oder japanischen Produktionen ähnlicher Provenienz her kennt, greifen hier nicht. Viel eher fühlt man sich an das philippinische Kino erinnert, an Serbis von Brillante Mendoza oder vielleicht Kubrador von Jeffrey Jeturian, an Filme aus Südostasien, die um das Authentische ringen. Songlap ist ein Film also, der nicht wirklich geglückt ist, aber dennoch highly watchable bleibt, nicht ins Melodramatische abrutscht und dessen cheesyness erträglich bleibt, weil sie nicht ästhetisch ausgestellt wird, sondern motivisch inhärent ist. Eine Entschlackung des Drehbuchs hätte Songlap aber gut getan.

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