Direkt zum Hauptbereich

The Story of 90 Coins (Michael Wong, China 2015)


Michael Wong ist ein Filmemacher aus Malaysia, der zur Zeit in Peking, China, lebt. Dort ist auch sein romantischer, 10 minütiger Kurzfilm angesiedelt: in einem hippen Ambiente zwischen Luxuswohnung im Neubau und einer schicken Agentur für Modedesign, in der die beiden Protagonisten arbeiten (gespielt von Han Dongjun und Zhuang Zhiqi). Er liebt sie und sie liebt ihn (vielleicht, ja) - aber als er einen Heiratsantrag macht, da ist sie zurückhaltend. Man weiß nicht warum, allerdings scheint es so, als sei sie sehr erfolgreich und gerade mit der neuen Kollektion beschäftigt. Möglicherweise ist es die Arbeit, die ihr den nötigen (geistigen?) Freiraum nicht gewährt. Später stellt man dann fest: vielleicht ist es auch seine Eifersucht, die sie zurückhält, sich "für immer" zu binden.

Er gibt ihr 90 Tage Zeit, zu einem Entschluß zu kommen. An jedem Tag wird sie symbolisch eine Münze von ihm bekommen und nach Ablauf des Zeitraums soll die Summe gemeinsam vertrunken werden; entweder als Feier zur anstehenden Hochzeit oder als Goodbye-Zelebrierung. Der Plot des Films wirkt etwas stark forciert, ein Plot, der eine künstliche Spannungskurve aufbaut: spielerisch zwar, aber auch einen allzu schönen Bogen abgebend für einen Kurzfilm. Es ist die "unerhörte Begebenheit", die dem Film zum einen das Zentrum gibt, zum anderen aber zugleich zu sehr nach Lehrbuch, nach Schablone, nach Filmschul-Skizze schmeckt. Insgesamt wirkt der Film auch sehr gedrängt, vollgestopft mit Erzählung, etlichen Voice-Over-Kommentaren und Perspektivwechseln, sodaß man in diesem eigentlich sehr melancholischen Film als Zuschauer ziemlich in die Bedrängnis gerät, nichts zu verpassen. Dazu gesellen sich teils rasend schnelle Untertitel, was kontraproduktiv zur Wahrnehmung der Bilder ist.

Und das ist schade, denn - neben der überzeugenden Protagonistin - sind es vor allem die Bilder der Kamera, die zu gefallen wissen. Der Film ist sehr schön geschossen und flüssig (manchmal allerdings zu schnell) montiert. Die Musik hingegen drückt zu sehr auf die Tränendrüse, was vor allem beim Finale deutlich wird, als ihre Aufkündigung der Freundschaft und der Entschluß, nach Paris zu gehen, zum endgültigen Bruch führt. Leider drängt sie der Film in die Rolle der Schuldigen, die ihre Entscheidung schließlich bereut. Kurz vor dem Abflug geraten ihr wieder die Münzen in die Hände, mitsamt den Liebesbriefen, und das große Bedauern setzt ein. In Flashback-Montagen holt der Film dann diese Momente nach, in denen deutlich wird, wie sehr sich ihr Freund um sie bemühte. Dabei gerät außer Fokus, dass es seine eigene Eifersucht war, die sie nicht akzeptieren konnte, und die sie von ihm fort trieb. Es ist ein Ende, das die Motivationen etwas verzerrt und die verworrene Gefühlslage nicht aufzuklären versteht. The Story of 90 Coins ist ein engagierter, professionell inszenierter Debüt-Film, jedoch etwas overstuffed, etwas zu moralisierend, zu slick und "drüber" in mancherlei Hinsicht. Bei dieser kurzen Spielzeit wäre Zurückhaltung und etwas weniger von allem mehr gewesen.

Michael Schleeh

***

Man kann sich The Story of 90 Coins online im Stream bei vimeo ansehen.

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

HKIFF 2019 ~ Three Husbands (Fruit Chan, Hongkong 2018)

Im dritten Teil seiner Prostitutions-Trilogie , achtzehn Jahre nach Durian Durian (2000) und dem großartigen  Hollywood Hong Kong  (2001), verknüpft Hongkongs Independent-Regielegende Fruit Chan mehrere bisweilen schwer erträgliche Erzählstränge zu einem allzu offensiven Missbrauchsdrama.  Inhaltlich relativ komplex und stark verwoben mit seinem Handlungsort Hong Kong und den umliegenden chinesischen Provinzen, wird die Hauptfigur Ah Mui von der furchtlosen Chloe Maayan als geistig  leicht behindertes Tanka-Boot - Mädchen kongenial gespielt. Eine junge Frau, die von ihren drei Ehemännern an jeden dahergelaufenen Zahlungswilligen verkauft wird. Der Film ist allerdings ästhetisch unfassbar krude umgesetzt, vor allem wenn es um die Metaphorik für den Geschlechtsakt oder generell die weibliche Fruchtbarkeit geht, deren Bann sich "der Mann" wie schicksalshaft einfach nicht entziehen kann.  Die Inszenierung des weiblichen Geschlechts in seinen verschiedenen metaphorisie

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne