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Es werden Posts vom Mai, 2018 angezeigt.

Stoischer Humor: Party 'round the Globe (Hirobumi Watanabe, Japan 2017)

 Der Gewinner des letztjährigen Nippon Vision Awards kehrt zurück mit einem Film, der seinem Poolsideman (2016) formal sehr ähnlich ist. Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: zwei junge Männer sitzen im Auto und fahren nach Tokyo zu einem Konzert von Paul McCartney. Da sich Watanabes Filme durch lange Einstellungen und eine statische Kamera auszeichnen, passiert hier nicht viel, außer dass einer der beiden permanent redet, und der andere nie. In amerikanischen Reviews würde man jetzt den Begriff deadpan humour lesen können - es ist subtil lustig, weil das so wahnsinnig trocken inszeniert ist. Knalleffekte gibt es hier nicht. In schwarz-weiß noch dazu. Minutenlang passiert einfach nichts, außer diesem Gequatsche und dem ruhigen, zen-buddhistischen Blick des Fahrers, der das alles irgendwie erträgt, ohne aggressiv zu werden.  Der Film setzt sich aus einer ständige Aneinanderreihung von vielleicht sechs Einstellungen zusammen, die alle auch immer wiederkehren, um das gleichfö

Nippon Connection 2018 - Das Programm.

 Es ist für mich mittlerweile zur Tradition geworden, Ende Mai über Fronleichnam nach Frankfurt zu reisen und eine knappe Woche beim Nippon Connection Film Festival dem japanischen Film zu huldigen. Es gibt aber noch einen Grund, dies jedes Jahr zu wiederholen: die Atmosphäre des Festivals ist einzigartig. Das liegt nicht nur daran, dass eigentlich alle Anwesenden ausgesprochen gut gelaunt sind (ein großer Gegensatz zur Berlinale, zum Beispiel) - sondern dass ich dort enorm viele Leute treffen kann, die mir mittlerweile ans Herz gewachsen sind. Und neue Bekanntschaften zu machen, die das Potenzial dazu hätten, wenn man sich öfters sähe. Die Begeisterung für alles Japanische scheint eine tiefe, unausgesprochene Verbundenheit zwischen den Festivalteilnehmern zu stiften, die für einen kurzen Moment alles möglich erscheinen lässt. Auch dieses Jahr ist das Film-Programm wieder sehr schön geworden. Neben dem tollen Rahmenprogramm, bei dem vor allem drei Veranstaltungen für mich hera

Eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs: Swaying Mariko (Koji Segawa, Japan 2017)

 In Koji Segawas einstündigem Film Swaying Mariko wird direkt zu Beginn deutlich, was das Besondere an ihm ist: die Erzählperspektive ist ganz dicht an die Hauptfigur Mariko angelegt (sehr nuanciert gespielt von Chise Ushio). Wir sehen die Ereignisse durch ihre Augen, mit einer zusätzlichen Voice-Over-Kommentar-Tonspur, die ihren Gedankenfluss transportiert. Es ist also kein klassisch übergeordneter Erzähler-Kommentar, der hier abläuft und der Kontext wie Übersicht erschaffen würde, sondern eine subjektive Meinung, die sogar eher für zusätzliche Verunsicherung sorgt.  Denn in Marikos Kopf herrscht eine ziemliche Verwirrung. Ein Chaos, da ihre angespannte Lebenssituation voller Einsamkeit und zugleich voller Verpflichtungen sie ziemlich unter Druck setzt. Immer wieder kippt die Situation in Momente schwarzen Humors, da die Gedanken völlig in Kontrast zu dem stehen, was man sieht. Zwischen Dargestelltem und Wahrgenommenem tut sich eine Schere auf. Generell aber findet eine zuneh

shomingeki no. 25 heute online erschienen!

   Heute ist die 25. Ausgabe der legendären Filmzeitschrift shomingeki erschienen . Zum ersten mal online als digitale Version, da die Print-Edition - wie ich höre - zu teuer und aufwändig geworden war. Diesen Schritt, den mittlerweile viele und auch viel größere Filmzeitschriften durchgeführt haben (zuletzt prominent der film-dienst ), ist eine plausible Lösung, Erzeugnisse mit vor allem ideellen Charakter weiterhin am Leben zu erhalten. Abgesehen davon, dass der Inhalt damit allen zugänglich und die Verfügbarkeit gesichert wird, verhindert es schlicht das Ende des Projekts (wie zuletzt bedauerlicherweise beim Schnitt ).  In dieser Ausgabe finden sich neben Texten von Bettina Klix verschiedene Texte zu Terrence Malick, der indisch-bengalischen Regisseurin Aparna Sen, zu Anjan Dutt und Olivier Assayas. Außerdem ein Text von mir, was mich außerordentlich freut, zu Yasujiro Shimazus shomingeki-Klassiker Our Neighbour, Miss Yae aus dem Jahr 1934.  Den Text findet ihr pe

Japanisches Film Fest Hamburg 2018

 Gestern Abend hat das diesjährige Japanische Filmfestival Hamburg seine Pforten geöffnet. Wie man auf einem live-Video auf Facebook mitverfolgen konnte, war die Eröffnungsveranstaltung sehr gut besucht und alle Mitarbeiter, wie auch japanischen Gäste erschienen auf der Bühne für eine ausgedehnte Vorstellungsrunde. Als Film wurde die Anime-Realverfilmung GINTAMA (2017) von Yuichi Fukuda gezeigt, in dem ein Samurai-Krieger aus der Edo-Zeit mithilfe von viel CGI, Blitz und Donner durch mehrere Zeitebenen reist und es unter anderem mit einer Invasion von Außerirdischen aufnehmen muss. Nun ja. Der Regisseur ist bekannt für seine inhaltlich grenzgängerischen Werke, die HENTAI KAMEN-Filme sind sicherlich einigen Leuten ein Begriff.  Das Programm ist wie jedes Jahr sehr knallig und vor allem breit aufgestellt - und bedient damit die unterschiedlichsten Sparten. Heute Abend etwa läuft Eiji Uchidas neues Loser-Drama LOVE AND OTHER CULTS ( das ich hier besprochen habe ), zeitgleich zu

Jugend am Abgrund: Love and Other Cults (Eiji Uchida, Japan 2017)

 Der japanische Independent-Film bringt auch heute noch saftige, verbotene Früchte hervor: ein gutes Beispiel ist des Regisseurs Eiji Uchidas vorherige, ebenfalls von Third Window Films produzierte, Meta-Erotikfilm-Groteske LOWLIFE LOVE (2015) mit einem fabelhaft fiesen Kiyohiko Shibukawa in der Hauptrolle. Auch hier gibt es wieder eine starke Protagonistin mit Sairi Ito als Ai, die zuerst als junges Mädchen in ein Jesuscamp gesteckt wird, wo sie einem Messias aus dem Westen huldigt, und später dann auf die schiefe Bahn gerät und im Pornobusiness endet.  Aber: leider ist das nur die halbe Wahrheit. LOVE AND OTHER CULTS ist bei weitem nicht so dicht gescriptet wie sein Vorgänger, sondern stellt eine ganze Vielzahl an verschiedenen Figuren immer wieder ins Zentrum seiner vielen Geschichten. Eine Entscheidung, die den Film nicht nur in einzelne Episoden zerlegt, sondern insgesamt auch wenig kohärent erscheinen lässt. Und dann kommen noch ein paar Zeitsprünge hinzu und das Cha

Home Invasion, sanftbrutal: Harmonium (Kôji Fukada, Japan 2016)

 In Kôji Fukadas Drama spiegeln sich mehrere Konstellationen: Figuren, Ereignisse, Zeitverhältnisse. Und die Gewalt, die unterschwellig immerzu präsent ist, wird von den beiden Männern ausgeübt. Wie sie darum ringen, ein Leben zu haben, oder sich für ein solches nicht-gelebtes beim anderen zu rächen. Aber zunächst ist alles ungewiss und erst im Verlauf des Films werden Zusammenhänge und Verknüpfungen aus der Vergangenheit enthüllt. Und plötzlich ist der Mensch, den du zu kennen glaubtest, ein ganz anderer. Beinahe.  Manchmal ist man als Zuschaur im Vorsprung vor den Figuren, was die Spannung steigert und den unguten Vorahnungen Vorschub leistet. Aber wie sich das alles entlädt, das ist meisterhaft gemacht von Kôji Fukada und seinen vier bis fünf Darstellern, die alle für sich herausragend sind: Tadanobu Asano als Eindringling in die Familie, Kanji Furutachi als Familienvater, den seine Frau schon länger nicht mehr interessiert, Mariko Tsutui als Mutter und Ehegattin, die versu

Zerstörte Jugend: Naachiyaar von Bala (Indien, 2018)

 Ganz zu Beginn von Balas tamilischem gar nicht so alltäglichem Alltagsdrama Naachiyaar kommt es zu einer Verfolgungsjagd, die symbolhaft für den Film stehen könnte. Der junge Kaathu rennt vor seinen Verfolgern davon. Die Polizei ist ihm auf den Fersen. Sie glauben, er habe sich an der noch minderjährigen Arasi vergangen, weshalb diese nun schwanger ist. Da er ein einfacher Tagelöhner ist und sowieso Hals über Kopf verliebt, ist er dann aber bereit, auch diese Unwahrheit zu gestehen. Dass das Opfer selbst behauptet, er sei ein lieber Junge und habe ihr nichts angetan, interessiert die Polizisten wenig. Allen voran die Kommissarin Naachiyar, die sich dem Mädchen angenommen hat. Doch dann belegt eine DNA-Probe, dass Kaathu nicht der Vater sein kann. Was ist also überhaupt passiert? Und für die beiden Liebenden bricht eine Welt zusammen.  In einem langen Flashback erzählt Bala dann den Hergang der Geschichte, so wie sie eigentlich war. Und nebenbei auch von der Liebesgeschichte, w

Apprentice ~ Tu Xing (Boo Junfeng, Singapur 2016)

  Boo Junfengs indonesisches Drama Apprentice aka. Tu Xing (2016) ist ein reduzierter, auf kleiner Flamme köchelnder slow-cinema Gefängnis-Film, der mit der Zeit aus seinem Inneren heraus eine mächtig bedrohliche Spannung aufbaut.  Das liegt einerseits daran, dass im Verlauf der Handlung noch mindestens zwei bis drei weitere, tieferliegende Schichten an die Oberfläche drängen, die für Konflikte sorgen. Andererseits steigt der Druck, der auf der Hauptfigur namens Aiman (Fir Rahman) lastet, enorm an. Er spielt seine Rolle mit großer Selbstbeherrschung, die seine Gefühle unterdrückt. Dass er jemand ist, der zu Gewalt neigt, sieht man zwar nie im Film selbst, doch ergibt sich das aus seiner Biographie: Sohn eines Drogendealers, Mitglied einer Jugendbande, später selber Pusher. Man wartet geradezu darauf, dass Aiman explodiert.  In diesem Film hat man es also mit einer anderen Perspektive wie sonst so häufig zu tun: nicht die Insassen stehen im Zentrum des Interesses,

Die Zwänge der Tradition: THE LIVING MAGOROKU (Keisuke Kinoshita, Japan 1943)

  Die frühen Filme des japanischen Meisterregisseurs Keisuke Kinoshita fallen in die Zeit des ausgehenden Zweiten Weltkriegs, und demnach sind sie thematisch stark geprägt von den Läuften ihrer Zeit, wie auch den Reglementierungen der Zensurbehörde. Dass die Filme dennoch überraschend komplex und feinsinnig sind, ist dem Können und der Vielseitigkeit des Regisseurs und seines Teams anzurechnen. Es sind Filme, die trotz ihres spezifischen Entstehungskontextes auch heute noch zu uns sprechen und viel zu sagen haben.  In Ikite iru Magoroku geht es darum, dass eine reiche Familie auf dem Lande es dem Militär nicht gestatten will, auf den Feldern Getreide anzubauen - aufgrund eines Aberglaubens, der die Krankheit ihres Sohnes betrifft. Zeitgleich beginnen sich zwei junge Menschen zu lieben und brauchen die Zustimmung ihres Umfelds. Und ein Offizier und Arzt, der aus einer Notlage heraus ein Schwert aus Familienbesitz veräußern musste, erfährt, dass er versehentlich ein echtes Mago

Passion oder Obsession - FITOOR von Abhishek Kapoor (Indien, 2016)

 Was sich in der Jugend wie ein romantisches, zartes, sanft heranschwebendes Gefühl der Schwärmerei anfühlt, kann Jahre später in eine echte Obsession umschlagen. So ist der Protagonist dieses Films, der Künstler Noor (Aditya Kapoor), von der schönen Erbin des hochherrschaftlichen Familienclans Firdaus (Katrina Kaif) verzaubert. Als Kind durfte er sich als Stallbursche ein kleines Zubrot verdienen, und konnte ihr dadurch nahe sein. Doch als die Kinder erwachsen werden, ändert sich alles. Firdaus geht nach London, wird Designerin, und die Erinnerung an Noor verblasst. Doch Noor kann sie nicht vergessen. Auch später nicht, als er in Delhi ein Stipendium bekommt und als Wunderkind der bildenden Künste durch die High-End-Galerien gereicht wird.  Der Hindi-Film FITOOR ist eine Adaption von Charles Dickens' Roman Great Expectations , verlegt in die Schönheit des ländlichen Kaschmirs im Norden Indiens. Die schneebedeckten Berge im Hintergrund und die Holzhäuser auf Stelzen im Dal

Proletarische Literatur: DAS FABRIKSCHIFF von Takiji Kobayashi (1929)

 Takiji Kobayashis Klassiker der japanischen Arbeiterliteratur Das Fabrikschiff ist ein überwältigender Kurzroman von niederschmetternder sozialhistorischer Wucht, der den ausbeuterischen und rücksichtslosen japanischen Kapitalismus in seiner Extremform beschreibt - er schildert auf häufig derbe und drastische Weise die katastrophalen Zustände auf einem Krabbenfangschiff im ochotskischen Meer nördlich von Hokkaido. Der durchweg spannende Roman ist dabei kein politisches und agitatorisches Manifest, sondern ein geradezu saftiger und spektakulärer Erlebnisbericht von den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und Zuständen auf dem Kutter, "unter dem Kommando von Teufeln in Menschengestalt" . Das betrifft sowohl die Abläufe des Arbeitsalltags, wie auch das soziale Gefüge unter den Seemännern und deren Vorgesetzten. Jenseits eines sich stets vom Pöbel fernhaltenden Kapitäns, der sich stets in Völlerei ergeht und seiner Verantwortung nicht nachkommt, hat es vor allem der