Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka, Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz:
Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten montiert und in einer raschen Fluchtbewegung von rechts nach links dargestellt, die hier in den Stills durchaus schon komödiantisches Potenzial erahnen lässt:
Als der Flüchtende schließlich um eine Ecke herum rennt, wird er plötzlich zurückgestoßen - ein offenkundiges Slapstick-Element. Der Stoßende ist allerdings sein Komplize (was wenig später klar wird), der ihm die Beute rechtzeitig abnimmt, von den Verfolgern unbemerkt. Der dann besagte Durchsuchung des Diebes dem verfolgenden Mob zur Beweisermittlung vorschlägt (wohl wissend, dass sie nichts finden werden). Die gehen ihm freilich auf den Leim, der Dieb wird verhört und vergeblich gefilzt.
Hier nun die Momente, in denen sich der Halunke bereitwillig und mit geschwellter Brust entkleidet, um seine Unschuld zu beweisen. Er hat auch bereits wieder eine große Klappe, da er sich sicher fühlen kann - bevor er anschließend den "Verleumder" sogar in aller Öffentlichkeit ohrfeigt und unbekümmert davongeht, die Hose noch zwischen den Knien:
Der Zuschauer sieht also einen Film, in dem zwei Gauner ihren Zuschauern eine Szene vorgaukeln - eine spielerische Ouvertüre auf zweiter Ebene, in der wie nebenbei das Verhältnis von Theater/theatralischer Perfomance und Realität angedeutet wird. Dieses Motiv durchzieht dann auch den gesamten Film. Kurze Zeit später erreicht die Schauspielerin Tamae (Yoshiko Okada, eine der Hauptfiguren mit Künstlernamen, und damit ebenfalls eine Doppelung) mit dem Schiff ihre Heimat, die sie vor sechs Jahren gen Hollywood verlassen hatte. Sie möchte, nach gemachten Erfolgen, endlich ihre Tochter Shigeko wiedersehen, die sie bei ihrem Mann zurückgelassen hatte. Diesen hatte sie seinerzeit allerdings sitzen lassen, ihre Karriere war ihr wichtiger gewesen. Die Lauterkeit ihres Ansinnens darf also mit Recht angezweifelt werden. Ihr damaliger Gatte jedoch hat neu geheiratet, und seine zweite Frau Masako (Yukiko Tsukuba), die die eigentliche Hauptdarstellerin des Films ist, ist zur wirklichen Mutter des Kindes geworden. Der Form nach zwar "nur" die Stiefmutter, ist sie doch als Erziehende für die Tochter zum emotionalen Zentrum ihres Lebens geworden. Die Schauspielerin Tamae ist dem Kind fremd, eine wie aus dem Nichts auftauchende und besitzergreifende Frau. Eine, die das junge Kind zudem nun zu sich in ihre feudalen Verhältnisse entführen möchte. So fragt der Film auch, veranschaulicht am Konflikt der zwei Mütter (die Mutter-Doppelung), was eigentlich Familie ausmacht, was Zusammengehörigkeit bedeutet.
Und da handelt es sich tatsächlich um eine Entführung, die die leibliche Mutter zur Not auch mit sanfter Gewalt durchzusetzen bereit ist. Dazu soll ihr der Bruder helfen, welcher eben jener Halunke ist, der dem Buben in der oben beschriebenen Szene die gestohlene Geldbörse abgenommen hatte. Ihr scheint jedes Mittel Recht. Hier gerät ein weiteres markantes Thema der Zeit in den Fokus, nicht nur bei Naruse, sondern wie bei vielen shoshimin eigas der frühen Shochiku-Kamata-Filme: die Opposition von moderner versus traditioneller Frauenrolle. Am Ende wird die moderne Frau Tamae ihre Sache aufgeben und wieder abreisen (müssen) - ganz im Einklang mit den traditionellen Werten der damaligen Zeit und, natürlich, der Studiopolitik.
Schon äußerlich unterscheiden sich die beiden Frauen durch ihre Kleidung: Tamae trägt vornehmlich schicke westliche Kleidung (wenn sie nicht ihre "japaneseness" betonen will, etwa für die Presse bei Interviews), garniert mit etwas Schmuck; Masako hingegen trägt traditionell Kimono. Wo aber die Sympathien liegen (sollen), ist zunächst jedenfalls in jedem Moment klar: die moderne Frau wird als egoistische Karrierefrau gezeigt, wohingegen ihr Gegenpart Masako als emotionales Zentrum installiert wird, die über alle selbstaufopfernden und liebevollen Charakterzüge eines traditionellen Frauenbildes verfügt. Der melodramatische Konflikt ist also von vornherein eigentlich schon entschieden.
Das Interessante am Film ist nun auch weniger der Plot an sich, als wie oben bereits eingehend erläutert, die radikale Machart des Films, der sich vor allem durch sein schnelles Pacing und sein dynamisches Editing auszeichnet. Schwenks, Dollys, Zooms verdeutlichen Blickrichtungen, Gefühle und Konfrontationen der Charaktere, die in emotionale Spannungssituationen geraten. Die dynamische Energie der Kamera ist immer allgegenwärtig und verdeutlicht so auch in einer tollen Szene die Brisanz der vor dem Ruin stehenden Firma von Atsumi, von Shigekos Vater. Dieser muss seinen Angestellten, die schon länger kein Gehalt mehr bekommen haben, den Bankrott des Unternehmens nahebringen. Hier schleicht sich auf einem Umweg noch einmal die soziale Härte eines depression-Dramas in den Film, der mit dem Begriff "Melodram" nur unzureichend bezeichnet wäre. Der Film wird um einen Konflikt, eine Dimension erweitert: was soll aus der Tochter werden, wenn sie in einem Elternhaus aufwächst, das zwar ein liebendes, dafür aber ein verarmtes ist? Soll man da nicht lieber das Kind weggeben? (Ex-Frau Tamae hatte sich sogar angeboten, die Firma vor dem Bankrott zu retten - und wie ist das nun wieder zu bewerten!) Solche bitteren Ereignisse, die die Komplexität der Erzählung noch einmal deutlich anheben, sind ein weiteres Markenzeichen Mikio Naruses. Auch wenn am Ende ganz sentimental das Glück und die Einheit der japanischen Familie wieder hergestellt wird, allzu einfach macht er es dem Zuschauer nie. No Blood Relation ist also nicht nur - aber auch - wegen des stilistischen Exzesses sehenswert.
Schon äußerlich unterscheiden sich die beiden Frauen durch ihre Kleidung: Tamae trägt vornehmlich schicke westliche Kleidung (wenn sie nicht ihre "japaneseness" betonen will, etwa für die Presse bei Interviews), garniert mit etwas Schmuck; Masako hingegen trägt traditionell Kimono. Wo aber die Sympathien liegen (sollen), ist zunächst jedenfalls in jedem Moment klar: die moderne Frau wird als egoistische Karrierefrau gezeigt, wohingegen ihr Gegenpart Masako als emotionales Zentrum installiert wird, die über alle selbstaufopfernden und liebevollen Charakterzüge eines traditionellen Frauenbildes verfügt. Der melodramatische Konflikt ist also von vornherein eigentlich schon entschieden.
Das Interessante am Film ist nun auch weniger der Plot an sich, als wie oben bereits eingehend erläutert, die radikale Machart des Films, der sich vor allem durch sein schnelles Pacing und sein dynamisches Editing auszeichnet. Schwenks, Dollys, Zooms verdeutlichen Blickrichtungen, Gefühle und Konfrontationen der Charaktere, die in emotionale Spannungssituationen geraten. Die dynamische Energie der Kamera ist immer allgegenwärtig und verdeutlicht so auch in einer tollen Szene die Brisanz der vor dem Ruin stehenden Firma von Atsumi, von Shigekos Vater. Dieser muss seinen Angestellten, die schon länger kein Gehalt mehr bekommen haben, den Bankrott des Unternehmens nahebringen. Hier schleicht sich auf einem Umweg noch einmal die soziale Härte eines depression-Dramas in den Film, der mit dem Begriff "Melodram" nur unzureichend bezeichnet wäre. Der Film wird um einen Konflikt, eine Dimension erweitert: was soll aus der Tochter werden, wenn sie in einem Elternhaus aufwächst, das zwar ein liebendes, dafür aber ein verarmtes ist? Soll man da nicht lieber das Kind weggeben? (Ex-Frau Tamae hatte sich sogar angeboten, die Firma vor dem Bankrott zu retten - und wie ist das nun wieder zu bewerten!) Solche bitteren Ereignisse, die die Komplexität der Erzählung noch einmal deutlich anheben, sind ein weiteres Markenzeichen Mikio Naruses. Auch wenn am Ende ganz sentimental das Glück und die Einheit der japanischen Familie wieder hergestellt wird, allzu einfach macht er es dem Zuschauer nie. No Blood Relation ist also nicht nur - aber auch - wegen des stilistischen Exzesses sehenswert.
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