Gut, dass es, wenn es derart heiß ist, mitten im Zentrum von Melbourne am Federation Square das Australian Centre of the Moving Images gibt. Ein architektonisch tolles, verschachteltes Bauwerk mit zwei Kinos, Mediathek und Shop aus Filmbüchern und Cine-Devotionalien, das in seinem Souterrain die Gallery 1 & 2 beherbergt, nun für diese Ausstellung ein nachtschwarzes Labyrinth aus Sichtungsräumen, Betonpfeilern und hellen Projektionsflächen, die je nach Installation verschieden gruppiert sind.
Gleich zu Beginn scharf rechts in diesem brutalistischen Gelände eine der tollsten Arbeiten von Yang Fudong (* 1971 in Peking): ein 10 Minuten und 37 Sekunden langer s/w - Kurzfilm, der in seiner starken durchästhetisierten Art ein träumerischer Schneefilm geworden ist (Yejiang, The Nightman Cometh, 2011). Performanz und Theater. Ein geschminkter Mann im weißen Anzug - wie aus einem Stück von Edogawa Rampo - bewegt sich durch eine mysteriöse Schneelandschaft, die ganz nach Attrappe oder Studio aus. Dann zwei Rehkitze am Bildrand, die plötzlich auf der Bildfläche erscheinen und nach Essbarem suchen. Der Mann jedoch wandert gemäßigten Schritts weiter ungerührt umhet durch den Schnee. Zeitsprung. Eine wunderschöne Frau hingegen dreht sich mehrfach um, den Blick dem Zuschauer zugewandt, streichelt ein Pferd, einen schwarzer Hengst. Zeitsprung. Ein Krieger aus einem Heldenepos, bricht Äste, macht Feuer und sattelt eben dieses Tier und macht sich auf in die Schlacht oder sonstwohin. Diese Szenen zeigt der Film in sanften Schnitten als Folgen nacheinander, bevor gegen Ende alles in einer Vereinigung zueinander strebt und alle zugleich auf der Leinwand erscheinen - und der Schnee fällt, wie in einem Traum, die ganze Zeit über schwer hernieder. Ein meditativer, multiperspektivischer, labyrinthischer Film, anspielungsreich und offen zugleich - dann noch ein Falke in Großaufnahme, bedrohlich in HD, ganz dicht am Gesicht, die Flügel schlagend.
In einem lang gestreckten Raum danach eine beeindruckende Videoinstallation auf acht Bildflächen. Dort werden Momente und Ausrisse von Geschichten erzählt, die man wie visuelle Bausteine zusammensetzen kann, je nachdem in welcher Reihenfolge man sie betrachtet. Die Sequenzen sind nicht allzu lange, etwa 20 Sekunden dauert es, bis zu einem anderen Schnipsel gesprungen wird. Das wirkt alles recht gewichtig und auch schwermütig in The Fifth Night (2010). Mit der Zeit kristallisiert sich ein Noir-Drama aus den Sequenzen heraus, das auch historisch zeitlich zurück liegt. Yang hatte in der Shanghai Film Shoot Base gedreht, ein Set der 1930er Jahre,, das das Artfizielle der Segmente noch zusätzlich betont.
Dann eine Installation farbiger Tafeln, die schräg im Boden verankert sind, auf denen minimalistische Szenen variiert werden. Bunt und sexuell aufgeladen, wieder Tiere, zum Beispiel Hirsche spielen jetzt eine Rolle, während eine Frau verlockend am Tisch sitzt und Trauben knabbert oder im Meer pirouettiert, im flachen Wasser und dieses hochspritzen lässt in der ausgelassenen Drehung. Das alles aber immer sehr langsam, nachdem man bereits gedacht hatte, die Filme seien Bilder, die in ihrer Statik keine Bewegung zuließen.
Im letzten Raum schließlich etwa acht Bildschirme, die in schwarzweiß alltägliche Szenen aus einem Dorf in der ruralen Provinz Heibei zeigen. East of Que Village, 2007, so der Titel dieser eindrucksvollen Arbeit. Realismus pur. Ein abgezehrter Hund nagt an einem Ochsenschädel, eine Frau läuft durch ein Feld, Feuerwerk wird am Tage in einer Gasse gezündet, eine Frau fegt das Bett in einem Bauernhaus sauber, alles auf Endlosschleife, minimalste Ausrisse aus dem Alltag eines Dorfs im Nirgendwo, faux-documentary in desolaten Landschaften.
Eine reduzierte Ausstellung und zugleich übervoll mit Eindrücken, geradezu spektakulär, wie hier cineastische und videoexperimentelle Aspekte in einem zeitkritischen Werk verknüpft werden. An die frühen Werke von Jia Zhangke oder an den Naturalismus eines Wang Bing kann man sich bruchstückhaft erinnert fühlen, zugleich ist das aber schon völlig anders, artifizieller, begehbarer, dicht dran am Zuschauer, der von der Installation selbst immer wieder in den Mittelpunkt gestellt wird. Spektakulär.
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