Am Ende ist es ein Tanz im Feuer, im Feuergefecht, wenn Godfather Sardar Khan, Hauptfigur in diesem Epos, wie in einem Todesballett sich um sich selbst dreht, herumgewirbelt wird von den Kugeln, die seinen Körper durchlöchern. "The Killer" von John Woo fällt einem da ein, im Hintergrund die grellgelben Feuer- und Explosionswolken oder die Zeitlupentode bei Sam Peckinpah - bei Anurag Kashyap aber ohne das Pathos, das vielen westlichen Zuschauern zu pappig ist. Hier sind die Bilder grobkörnig, schlicht und direkt in ihrer Bedeutung, die nur sie selbst sind und als tiefere Lesart den Verweis auf die ihnen ähnlichen Filmbilder zulassen - aber nicht auf religiöse Elevatio, Verklärung oder gar auf eine Erlösung hinweisen. Und so ist auch der Begriff "Epos" eigentlich zu unscharf für diesen doch sehr langen Film, denn Epik trifft nicht den narrativen Gestus dieses Films, der in sich elliptisch ist, voller Auslassungen, sprunghaft, wenig erklärt und sowieso nicht wie ein klassisches Familienbild aufgebaut ist, auch wenn er hauptsächlich von den Generationen einer Familie erzählt.
Gut sechzig Jahre erzählte Zeit wird hier abgebildet, vor dem Hintergrund politischer Wirren, wie sie in Nordindien herrschten Anfang der fünfziger Jahre. Die im Titel genannten "Gangs" sind dann auch vielmehr verfeindete Familien, die in Rachefehden sich gegenseitig zu vernichten trachten. Erwähnter Sardar Khan steht bald im Zentrum der Erzählung, unsympathisch, monolithisch, egozentrisch, brutal. Ewige Rache hat er geschworen, um den Mord an seinem Vater zu vergelten. Rücksichtslos gegen andere, aber auch seine Libido kann er nicht im Zaume halten. Neben seiner Frau hat er noch eine Geliebte, die ein Kind von ihm bekommt. Auch diese Frau wird er zugrunde richten.
Eine wirkliche Sympathiefigur kommt erst spät mit seinem Sohn Faizal in den Film, gespielt vom umwerfenden Nawazuddin Siddiqui. Mit seiner wortkargen Präsenz dominiert er jede Szene, die er betritt. Er ist das Gesicht des indischen Independentfilms, wie öfters über ihn zu lesen ist. Dabei ist "Gangs of Wasseypur" keineswegs ein solcher, fürs große Kino habe Kashyap diesen Film gemacht, mit Geld aus Bollywood und für den internationalen Markt. Was nun auch gut funktioniert hat, siehe internationale Festivals, siehe DVD-Auswertungen. Eine generelle internationale Akzeptanz des zeitgenössischen indischen Kinos konnte aber auch dieser Film nicht lostreten und wird häufig wie ein lobenswerter Ausreißer behandelt. Schade, dass Imtiaz Alis "Highway" (gezeigt auf der Berlinale 2014) keine größeren Wellen schlug. Und aber: eigentlich wollte er nur Spaß haben mit diesem Film, so Kashyap, und er klebt tatsächlich etwas weniger am individuellen Schicksal, der Tragödie eines Individuums, als etwa im ziemlich schönen Vorgänger "That Girl in Yellow Boots" (2010). Es ist dennoch eine zutiefst instabile Gesellschaft, die Kashyap in diesem großen und großartigen Wurf portraitiert, in der ein Leben in jeder Sekunde zu Ende gehen kann. Beruhigend ist auch das nicht gerade.
Michael Schleeh
Addendum: Internationale Fassungen (z.B. auf DVD) zweiteilen den Film in der Intermission. Im Original geht der Film also mit Pause über fünf Stunden. Hier habe ich aus Verfügbsarkeitsgründen nur den ersten besprochen.
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