When a man loves a turtle: Salaryman Ryo Suzuki (Hiroki Hasegawa) wird von allen Kollegen permanent gemobbt. Kein Wunder, macht er doch fast alles falsch, hängen ihm tagein, tagaus die Mundwinkel herab und seine Schüchternheit versucht er hinter den langen Haaren zu verbergen. Außerdem hat er sich in eine Brillenschlange verkuckt, ebenfalls, natürlich, eine Außenseiterin (Kumiko Aso). Zum Trost für dieses trübe Dasein wendet sich der Einzelgänger abends an seine Schildkröte namens Pikadon (Pika, Pika-chan), die er auf dem Dach gefunden hat. Sie hat immer ein offenes Ohr für ihn und ist ihm treu ergeben.
Dass "Pikadon" auch der Name einer Atombombe ist, lernt man bald aus dem Fernsehen und lacht über die groteske Schere zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem - ahnt dabei natürlich die Wandlung zum Kaiju-Monsterfilm voraus. Das kommt dann auch, aber viel später. Davor wird das Tier per Toilette genrefilmgemäß unfreiwillig entsorgt und landet in der Kanalisation beim Weihnachtsmann (Toshiyuki Nishida). Ja. Genau. Der ist ein obdachloser Alkoholiker mit großem Herzen, der sich um all das kümmert, was Mensch wegwirft und nicht mehr gebrauchen kann. Und Ryo entwickelt sich derweil: zum Rockstar ("Wild Ryu" heißt er dann, und wird angekreischt von vielen schönen Mädchen, die ihn plötzlich lieben. Achtung: Mediensatire!).
Durchgeknallt? Hanebüchen? Freilich. Aber das war noch nicht alles - für hier soll es aber allemal genügen. Im System Sion Sono funktioniert das Aufeinanderprallen dieser zahlreichen Themen und Fantastereien, Märchen- und Traumweltkomplexe, auch Liebesschnulze und Monsterfilm dazwischengerührt, ein Musikfilm ebenfalls natürlich, ganz reibungslos. Als würde diese Welt eben so funktionieren und man hätte sein (von der Ratio geprägtes) Leben lang nur nicht genau genug hingeschaut. Weil Sion Sono das so konsequent durchzieht, sich nicht beirren lässt, den Zuschauer immer wieder mit noch einer weiteren Hookline, einem deftigen Punker-Riff oder einem Drücken auf die Tränendrüse voll in den Film hineinzieht. Das schlägt Funken, Feuerwerk auf der Leinwand und im Herzen des hingerissenen Zuschauers. Das ist allerbestes Flimmertheater!
Michael Schleeh
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