Direkt zum Hauptbereich

HKIFF 2019 ~ Three Husbands (Fruit Chan, Hongkong 2018)


Im dritten Teil seiner Prostitutions-Trilogie, achtzehn Jahre nach Durian Durian (2000) und dem großartigen Hollywood Hong Kong (2001), verknüpft Hongkongs Independent-Regielegende Fruit Chan mehrere bisweilen schwer erträgliche Erzählstränge zu einem allzu offensiven Missbrauchsdrama.

 Inhaltlich relativ komplex und stark verwoben mit seinem Handlungsort Hong Kong und den umliegenden chinesischen Provinzen, wird die Hauptfigur Ah Mui von der furchtlosen Chloe Maayan als geistig  leicht behindertes Tanka-Boot - Mädchen kongenial gespielt. Eine junge Frau, die von ihren drei Ehemännern an jeden dahergelaufenen Zahlungswilligen verkauft wird. Der Film ist allerdings ästhetisch unfassbar krude umgesetzt, vor allem wenn es um die Metaphorik für den Geschlechtsakt oder generell die weibliche Fruchtbarkeit geht, deren Bann sich "der Mann" wie schicksalshaft einfach nicht entziehen kann.

 Die Inszenierung des weiblichen Geschlechts in seinen verschiedenen metaphorisierten Darstellungen und mythologischen Allegorien ist dermaßen altbacken und von vorgestern, dass man es kaum fassen kann - es ist eine unerträgliche Ansammlung von Männerphantasien, die 2019 wohl nicht mal mehr eine wohlmeinende Arthaus-Crowd wird goutieren können. Es sei denn, man findet Blütenkelche von Orchideen oder das saftige Fruchtfleisch von Papayas als erotische Anspielung aus irgend einem Grunde spannend und raffiniert. Eine Anspielung auf die Dekadenzliteratur des frühen, modernen 19. Jahrhunderts darf definitiv ausgeschlossen werden. Dabei lässt es Fruit Chan aber nicht bewenden. Er findet auch "interessante" Verwendungsformen für vibrierende Handys, für Aale im Todeskampf oder auch den Armstumpf eines ihrer drei Ehemänner. Welche, das kann man sich denken. Es ist kaum zu fassen: das sind juvenile Phantasien eines pubertierenden 16-Jährigen.

 Die ständigen Anspielungen auf die Sirenen des Odysseus, die unterleibsfixierte Matrosen anlocken, wird von Fruit Chan auf seine Anti-Heldin Mui projiziert, die zudem als "Wesen des Meeres" ständig nach sexueller Befriedigung verlangt. Da kommt es den Männern gerade recht, dass die Behinderte ein moralisch uneingeschränktes Verhältnis zur eigenen Körperlichkeit besitzt - und eben jedes Gefühl ungehemmt befriedigt wissen will. Ein Schutzraum wird ihr freilich nicht gewährt, ganz im Gegenteil. Damit lässt sich auf einfache Weise Geld verdienen, und die Lotterbande kann sich noch einreden, man würde ihr etwas Gutes tun.

 Die Spiegelung dieser Geschichte im Schicksal einer jungen, aber aufrechten Prostituierten aus Hong Kong, die sich im benachbarten Zhuhai an reiche Geschäftsmänner verdingt (über die Grenze bei Macau, das ebenfalls Sonderverwaltungszone ist), wird leider nur angerissen. Zu blass bleibt die Entwicklung dieser Figur und verweist dann eher als Stellvertreter-Position auf den Niedergang der glamourösen und immer noch selbstbewußten Finanzmetropole Hongkong, ohne dass dieser dezent anklingende Aspekt weiter ausgeführt würde.

 Aber auch andere Figuren, die näher am Gravitationszentrum des Films angesiedelt sind, bleiben blaß. Die beiden Alten etwa, Husband 1 und 2, bekommen erst im Verlauf des Films etwas Profil, wie auch die Mutter von Four Eyes, des Bauarbeiters, der Mui ihres Schicksals entreißen will und sie freikauft - um sie mit nach Hause zu nehmen, wo sie ihm ständig zur Verfügung zu stehen hat. Bis er das sexuelle Verlangen seiner Gattin nicht mehr alleine zu befriedigen in der Lage ist.

 Was uns Fruit Chan mit dem stark entfärbten Ende und der anschließenden Schlußeinstellung sagen möchte (Sirene auf dem Bootsbug mit leuchtendem roten Umhang), ist mir ein Rätsel - aber wenn das keine Verklärung ihres Schicksals ist, was bitte dann? Es steht zu befürchten, dass auch der Regisseur des Films selbst die Figur seiner Protagonistin Mui missbraucht, um letztendlich einen nicht viel mehr als exploitativen, provozierenden Film vorzulegen. Das ist ein ziemliches Armutszeugnis. 

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m