Direkt zum Hauptbereich

Schwarzer Regen / Kuroi Ame (Shohei Imamura, Japan 1988)


In der etwa 15minütigen Exposition geschieht alles Dramatische, das die Handlung in Gang bringt: während die Familie einer Teezeremonie beiwohnt, entfaltet sich in der Ferne deutlich sichtbar durch die aufgeschobenen Türen der Pilz der Atombombe über Hiroshima. Yasuko wohnt bei ihren Pflegeeltern, ihrem Onkel und ihrer Tante. Das herannahende Feuer zwingt sie, das Haus zu verlassen und sich durch die Stadt durchzuschlagen. Dabei sehen sie (und auch wir) das „wahre“ Ausmaß des Schreckens: alles ist zerstört, überall liegen verkrümmte verkohlte Leichen herum, ein Mann stürzt sich aus dem Fenster und erschlägt beinah die Familie. Auf dem Boot werden sie vom schwarzen Regen erwischt, der in großen, tintenähnlichen Tropfen herabkommt.

Dann: fünf Jahre später. Man lebt auf dem Land, und versucht den Schrecken zu vergessen, einen Alltag zu leben, den es nicht mehr geben kann. Denn die Eltern haben „die Strahlenkrankheit“, und wann sie letztendlich ausbricht, ist nur eine Frage der Zeit. Die Sorge des Onkels ist die Verheiratung Yasukos, die keinen Mann bekommt. Nicht weil sie häßlich wäre, sondern weil alle denken, auch sie habe die Krankheit. Yasuko jedoch ist die pure Lebensfreude, kümmert sich um alle, und ist mit ihrer Situation zufrieden, denn sie liebt ihre Pflegeeltern –nun ist sie es, die pflegt. Außerdem ist der „verrückte“ Nachbarssohn Yuiji an ihr interessiert, der –traumatisiert durch den Krieg – sich mit Schreikrämpfen unter jedes Auto wirft, um eine Bombe darunter zu platzieren, ganz so wie er es im Krieg immer tun mußte.

Shohei Imamura gelingt ein zutiefst anrührendes, menschliches Drama der Nächstenliebe - ohne jede Drastik und Sensationsheischerei. Vor dem schrecklichen Hintergrund entfaltet sich ein Alltag, der eigentlich ein ständiger Überlebenskampf ist, welcher aber durch das Annehmen des Leids wieder ein menschenwürdigeres Dasein ermöglicht. Gedreht in schwarz/weiß mutet der Film an wie eine Hommage Imamuras an seinen großen Lehrmeister Yasujiro Ozu; denn er war assistant director bei Early Summer, Flavor of Green Tea over Rice und Tokyo Story. Die Innenräume sehen demnach aus wie aus einem Ozu-Film. Und Yasuko spielt die Setsuko Hara. Ich denke schon, daß das eine Verbeugung ist.
So macht Imamura also aus diesem Film eine Art Kammerspiel, pures Darstellerkino. Weg von der großen Dramatik hin zur Kleinfamilie. Der Schrecken wie er sich im Kleinen zeigt. Man könnte jetzt auf tausend Aspekte kommen, etwa das tolle Drehbuch, wie die Themen miteinander verknüpft und immer wieder aufgenommen werden, wie die Innenräume mit den Außen-/Naturaufnahmen wechseln, wie japanische Shintomystik und buddhistische Naturreligion aufgenommen werden, oder wie der fantastische Score des Avantgardekomponisten Toru Takemitsu eingesetzt wird. Oder sich einfach begeistert den Film ein weiteres Mal ansehen.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra...

Two famous female writers from Japan: Yû Miri's 'Tokyo Ueno Station' & Hiromi Kawakami's 'People from my Neighbourhood'

TOKYO UENO STATION is not a straight narrative, but rather a quite experimental novel. As "the plot" unravels in flashbacks - by an obscure, already seemingly dead medium floating around Ueno park, the story of a life of hardship  is slowly being revealed. Of heavy labor, broken families, financial troubles and finally: homelessness. This is not the exotistic Japan you will find on a successful youtuber's channel. The events get illustrated by those of "greater dimensions", like the historical events around Ueno park hill during the Tokugawa period, the Great Kanto earthquake, the fire bombings at the end of WW II or the life of the Emperor. Quite often, Yû Miri uses methods of association, of glueing scraps and bits of pieces together in order to abstractly poetize the narrative flow . There are passages where ideas or narrative structures dominate the text, which only slowly floats back to its central plot. TOKYO UENO STATION is rather complex and surely is n...