Direkt zum Hauptbereich

Her Brother / Otouto (Kon Ichikawa, Japan 1960)

Kon Ichikawas hoch gelobtes und dabei selten gesehenes Familiendrama von 1960 ist zuletzt deswegen erneut ins Bewußtsein gerufen worden, da Yoji Yamada 2010 ein Remake des Films gedreht hat - das ich aber noch nicht gesehen habe. Hier haben wir es mit einer echten Tragödie zu tun, die uns zunächst völlig auf die falsche Fährte lockt: denn im ersten Drittel des Films werden hauptsächlich die turbulenten Familienverhältnisse dargestellt, in der Hirochi Kawaguchi, der den Bruder und Sohn "Hekiro" spielt, als Tagedieb und Taugenichts portraitiert wird, der mit seinen Streichen und Gaunereien nicht nur von der Schule fliegt, sondern auch privat viel für Unruhe sorgt. Dies intensiviert sich, als er zunehmend Schulden macht, die von den Gläubigern schließlich eingetrieben werden müssen. Im Zentrum des Films aber steht die Schwester Gen (Keiko Kishi), die sich um alles kümmern muss. Der Vater (Masayuki Mori) schreibt den ganzen Tag abgeschieden in seiner Kammer, die Mutter (Kinuyo Tanaka) leidet unter Arthrose, der Bruder ist der erwähnte Taugenichts. Die Familie ist übrigens von Rückschlägen nicht gefeit. Die Mutter ist bereits die zweite Ehefrau und ringt um die Position in der Familie. Sie wähnt sich nicht vollständig akzeptiert und versucht mit autoritärem Gebaren, ihre Stellung zu behaupten. Was ihr freilich nicht gelingt. Hekiro ist schlicht aufmüpfig, und auch Gen lässt sich kaum etwas sagen. Wobei diese selbst auch unter stetem Beschusss steht: sie ist immer noch nicht verheiratet und von allen Seiten wird ihr eingetrichtert, bald sei es zu spät. Dies ist ihr wiederum freilich ganz egal - und scheint so einer der modernen Heldinnenrollen aus Yasujiro Ozus Filmen entlehnt, die selbstbewusst einen eigenbestimmten Lebensweg anstreben.

Nun aber... der Film in Bildern:

Hier wähnt man sich fast in einem Tora-San - Film!

Ein eitler Geck mit Hitlerbärtchen, der um Gen herumcharmiert.

Der Pfau und der Bruder... zwei Rivalen im Herzen Gens?

Der Geck bedrängt Gen-chan...

...und wird gewalttätig.

Doch die Rettung kommt durch ein vorbeilaufendes Rudel Gänse!

Der Mann ist schockiert.

...und flüchtet sich vor den Tieren auf die Bank. Gen ist freilich inmitten der Tiere hinfort gehüpft.

Im weiteren Verlauf allerdings schlägt der Film ernste Töne an. Der Bruder erkrankt an Turberkulose und kann das Krankenbett nicht mehr verlassen. Gen kümmert sich rührend um ihn, und schließlich finden sogar Vater und Mutter am Krankenbett zusammen. Hier ist aber schon klar, dass sein Leben unrettbar verloren ist.




Ichikawas OTOUTO, oder häufig auch OTOTO geschrieben, ist in all seiner Heiterkeit, Schönheit und Traurigkeit auch ein herausfordernder Film. Denn der Regisseur liebt den Jump-Cut und wechselt urplötzlich die Szenerie. Auch ein ausführliches Erklären der Handlung ist seine Sache nicht. So ist der Zuschauer stets gezwungen, sich die Ereignisse, gleichwohl fortlaufend angeordnet, selbst zu erklären, und in den Gesamtzusammenhang zu stellen. OTOTO ist ein ein grandioser Film, in dem die Meisterschaft des Regisseurs im Nachhinein besonders stark leuchtet (wie schon in THE BURMESE HARP), da sie sich in einem Film offenbart, der wie mit leichter Hand dahingemalt erscheint. Eine wundersam uneitle und souveräne Art, eine Geschichte zu erzählen.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten, wie er um si

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra