Direkt zum Hauptbereich

Cold Fish / Tsumetai Nettaigyo (Sion Sono, Japan 2010)

 

Obwohl längst nicht alle Filme Shion Sonos in unseren Breiten verfügbar sind, wird er, spätestens seit LOVE EXPOSURE, vielerorts als cineastische Gottheit wahrgenommen. Auch ein mediokrer STRANGE CIRCUS oder der völlig missratene EXTE kann daran wohl nichts mehr ändern. So ging ich also mit recht gemischten Gefühlen an COLD FISH - einen Serienkillerfilm vor dem Hintergrund dysfunktionaler Familien in neonlichterleuchteten Tropenfischfachgeschäften. Wobei in einem der beiden freilich die Verkäuferinnen in knappen Armee-Shorts und Tank-Tops herumwatscheln dürfen. Anscheinend alles nach einer wahren Begebenheit, als ob das heute noch interessieren würde, was Realität und Fiktion ist. Aber irgendwas muss man ja auf's Plakat scheiben.

Hier sehen wir also den Protagonisten Nobuyuki Syamoto, bereits etwas grau im Gesicht. Er hat es auch nicht leicht, stinkt sein Fischladen doch merklich ab gegen den Megastore von Konkurrent Murata. Eben jener Murata hat seine Tochter aufgegriffen, nachdem sie einen Ladendiebstahl begangen hat. Was sie irgendwie deshalb tat, da sie mit ihrem Leben unzufrieden ist, und auch, weil sie ihre hübsche, junge, vollbusige Stiefmutter nicht leiden kann. Ihren Papa mag sie deshalb auch nicht mehr. Aber an großen Psychologisierungsdefiziten darf man sich bei Sono nicht aufhalten, auch wenn der Film über 2 1/2 Stunden geht. Kurzum: die Delinquentin darf bei Murata in die Lehre gehen und die Stiefmutter wird im Ferrari Muratas als Zwischenmahlzeit mal kurz vernascht. So weit so schlecht für Nobuyuki Syamoto. Doch das wird er erst später erfahren. Murata selbst zieht ihn nämlich immer tiefer in seine dubiosen Geschäfte hinein. Und zu spät merkt er, auf was er sich eingelassen hat: Murata ist ein Serienkiller, der alle, die ihm im Weg stehen, kurzerhand abmeuchelt; zu einem Haus im Wald fährt (am Fujiyama vorbei), und sie dort mit seiner ebenfalls debilen jungen Gattin zerlegt.


Hier wird es nun so richtig gorig, mit viel Schlamassel auf dem Boden und abgetrennten Gliedmaßen. Gummistiefel und Handsägen. Nobuyuki muss dann anschließend alles entsorgen - kein Wunder bringt ihn das an seine Grenzen. Als Murata nun seinen "Schüler" heranzieht, beginnt dieser aufzubegehren und Selbstbewußtsein aufzubauen. Und darum eigentlich geht es in diesem Film: wie der Loser (Nobuyuki) zu sich selbst findet und endlich das Heft in die Hand nimmt. Dazu gehört natürlich erstmal eine Portion familiäre Gewalt mitsamt Vergewaltigung der Gattin und Prügel für die Göre, die nicht hören will. Dass dies alles kein Ausweg ist, merkt er aber dennoch, und geht den Weg (s)einer moralisch kruden Konsequenz.


Wenn man also gewillt ist, über den doch recht hanebüchenen Plot hinwegzusehen und oftmals durchaus dilettantische Montagen zu tolerieren, dann bekommt man mit COLD FISH einen durchweg unterhaltenden, mit popkulturellen Referenzen aufgeladenen Genrefilm, der sich in eine ziemliche Blutorgie hineineskaliert. Das macht Spaß und ist spannend (bis auf einen längeren Durchhänger etwa in Filmmitte). COLD FISH scheint mir ein Film für die Leute zu sein, die eigentlich eher Sachen wie BEDEVILLED gut finden und denen ein Schwachsinn wie ROBOGEISHA zu blöd ist. Und die es dann doch mal zwischendurch ganz gern niveaulos haben wollen. COLD FISH ist ein Schmutzfink für nach Mitternacht.

***
 

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...

Eighteen Years, to the Sea / 十八歳、海へ (Toshiya Fujita, Japan 1979)

 Toshiya Fujita (Regisseur von z.B. den LADY SNOWBLOOD-Filmen oder STRAY CAT ROCK: WILD JUMBO ) liefert hier einen typischen japanischen End-70er-Jahre Genrebeitrag ab, in dem sich "Junge Wilde" in ihrem ganzen übersatten Ennui dermaßen anöden, dass sie auch mal dieses Ding mit dem Doppel-Liebestod ausprobieren wollen. Existenziellere Nöte gibt es kaum, sie sind sogar in ihrer Abschlußklasse ganz vorne auf der Liste. Die Eltern haben alle Geld, aber man kann es sich leisten, es nicht annehmen zu wollen.  Also geht man in Kamakura ins Meer, legt sich mit einer Bikergang an, nimmt Schlaftabletten (aber immer nur eine) und erhängt sich zum Spaß mit einem Seil, das schon ganz verrottet ist und auf jeden Fall reißt.  Ansonsten gibt es viel unbeholfenen Sex, der schnell in Gewalt ausartet, einmal auch in eine (fürs Genre obligatorische) Vergewaltigung, an deren Ende das Opfer den Täter sogar noch bittet, sich zukünftig um die Schwester zu kümmern.  Es ist alles wunderbar a...