Secrets behind the Wall aka Affairs within Walls / Kabe no naka no himegoto (Kôji Wakamatsu, Japan 1965)
Eröffnungsszene, AFFAIRS WITHIN WALLS: Bilder aus der Wohnsiedlung, in der der gesamte Film spielt. Gleichförmige Hausreihen, durchnummeriert, identitätslos. Anschließend sind es dann beinah nur noch Innenräume, in denen sich die Handlung abspielt. Ein Hibakusha, ein Hiroshima-Überlebender, wird liebevoll von seiner Frau (oder seiner Freundin? - das wird zunächst bewußt unklar gelassen) gepflegt. Sie leben in der anonymen Hochhaussiedlung, die wir schon aus SEASON OF TERROR kennen. Er ist ein Aussätziger der Gesellschaft, einer, den man vergessen will, der an den Rand gedrängt wird. Vergangenheitsbewältigung in Japan. Außerdem ist er heroinabhängig. Hier bekommt er seinen Schuß, bevor sie ihm zärtlich über das Keloid streichelt, den tumorartigen Auswuchs auf dem Rücken. Im Hintergrund lächelt Stalin.
Aber eigentlich ist SECRETS BEHIND THE WALL ein Film, der zwei Erzählstränge miteinander verbindet, die durch das Motiv des Voyeurs zusammngehalten werden. In der Figur des jungen Studenten, der zuhause bei seinen Eltern wohnt und - anstatt fleißig zu studieren, was er aber stets vorgibt, schaut er gerne Pornoheftchen an - mit dem Fernrohr in die Nachbarwohnungen spioniert. So entdeckt er zum Beispiel, dass eben jene vernachlässigte Hausfrau, die in ihrer stumpfen Ehe und in den vier Wänden zugrunde geht, ein Verhältnis zu dem jungen Mann pflegt, den wir aus der Anfangsszene gesehen haben. Diese Frau wird er später bedrängen, erpressen, versuchen zu vergewaltigen. Doch das will ihm alles nicht gelingen, und als sie sich ihm schließlich in einem merkwürdigen Akt der Mildtätigkeit anbietet, bringt er sie, völlig in Rage gebracht, mit dem Messer um.
Doch zuvor zeigt sich sein aufgestauter Trieb bereits darin, dass er seine attraktive Schwester heimlich beim Duschen beobachtet, wie sie sich auszieht, später dann abtrocknet. Der völlig gehemmte Student weiß seine unterdrückten körperlichen Gefühle nicht mehr zu beherrschen, und wie ein leidendes Tier explodiert seine scheinbar unkontrollierbare Sexualität zur aggressiven Tat: er fällt förmlich über seine Schwester her. Sie jedoch, die bereits in Handtücher eingewickelt und somit bewegungsunfähig ist, wehrt sich erfolgreich, strampelt sich unter ihm frei. Sie läßt sich das nicht gefallen.
Viel weiter als in diesem Film kann man eigentlich nicht mehr vom Pinku Eiga weg sein, vom kontroversen Sexfilm, in den der Sararyman seine übermüdeten Augen zur Erholung bettet. Sex ist hier Politik, Gewalt, Ausdruck der Bankrotterklärung einer gescheiterten Gesellschaft. Sowohl was die politischen Implikationen seitens des Umgangs mit den "lebenden Mahnmalen der nationalen Schande" in Form der Hiroshima-Opfer angeht (und was in der Verlängerung des Aspekts auf den allgemein gesellschaftlichen Umgang mit der Vergangenheit, der Rolle des Landes im 2. Weltkrieg verweist), als auch was die privaten, unterdrückten, dann pervertierten Leidenschaften einer rücksichtslos maskulin orientierten Gesellschaft angeht, einer Machtordnung des Patriarchats.
SECRETS BEHIND THE WALL ist ein gewalttätiger Kunstfilm, aufrüttelnd, gnadenlos (auch gnadenlos zärtlich), der genau das abbildet, vor dem die Augen allzu gerne verschlossen werden. AFFAIRS ist nicht umsonst eben jener Film, an dem sich die Karriere Wakamatsus gebrochen hat, der Film, der 1965 zur Berlinale eingereicht wurde (von einem deutschen Bewunderer des Films - nicht von Wakamatsu selbst!), obwohl die japanische Filmbewertungsstelle Eirin den Film noch nicht freigegeben hatte. Ein Film, der bald den Ruf des Skandalfilms innehatte, der eine nationale Schande sei. In der Folge verließ Wakamatsu die Produktionsgesellschaft Nikkatsu, für die er bis 1965 etwa 20 Filme gedreht hatte, und gründete seine eigene Produktionsfirma Wakamatsu Pro.
Inwiefern auf so einen wichtigen Film noch der Begriff "Exploitation" zutrifft, jenseits seiner niedrigen Budgetierung und dem filmhistorischen Umfeld, in dem er zunächst entstand, wäre möglicherweise fruchtbar zu diskutieren. Jede Form der Herablassung, ausgelöst durch die Begrifflichkeit "Exploitation" oder "Genre", ist völlig fehl am Platze gegenüber einem solch konzis kritischen, spannenden, genau getakteten und großartig inszenierten Meisterwerk. Unbedingt sehenswert.