Direkt zum Hauptbereich

I Love New Year (Radhika Rao, Indien 2015)

 

Bei Letterboxd lässt sich Folgendes zum Inhalt des Films lesen: Two strangers meet in Manhattan on New Year's Eve, and both of their lives are forever transformed in this romantic Bollywood drama. Even as they try to preserve their current relationships, neither can resist falling head over heels for the other.

Das ist alles ziemlicher Quatsch. Die beiden Fremden treffen sich nicht in Manhattan, sondern er ist so betrunken, dass er "die Stadt verwechselnd" (und von den Freunden im Whisky-Rausch in ein Flugzeug gesetzt) - und zu seiner eigenen Adresse in der fremden Stadt fahrend - bei ihr landet. Und es passt obskurerweise sogar der Wohnungsschlüssel. Zufälle gibt's! So also landet er dann schließlich bei ihr. Das sorgt freilich für einige Verwirrung, nicht nur bei der jungen Dame (Kangana Ranaut), die sich schon auf den Abend mit ihrem angebeteten Börsenmakler freut, sondern auch beim Zuschauer. Ein schöner Fall für eine etwas herausforderndere suspension on disbelief. Es ist halt so, auch wenn es gar keinen Sinn macht - und wir müssen es akzeptieren. Dass sich ihr Leben hier für immer transformen wird, ist, gelinde gesagt, eine Übertreibung. Zunächst einmal wird sich wie verrückt gegen jede Veränderung gestemmt, als wäre das etwas Schlechtes. Da ist es auch egal, wenn die begehrte Dame in einer an Missbrauch grenzenden Beziehung lebt, mit einem ultradominanten Mann, der keine Liebe für sie übrig hat. Und dem frisch in ihr Leben hereingeflogenen Vogel gewährt sie verständlicherweise nur sehr widerwillig Asyl. So ist es dann natürlich: er schnarcht betrunken in ihrem Bett, sie kommt vom High-Heels-Shoppen nach Hause und entdeckt ihn in ihrem privatesten Bereich. Konfusion. Keiner glaubt niemandem, schon gar nicht ihr eifersüchtiger Freund, der von dem Fremden in Unterhosen nur wenig hält und der dann wutentbrannt den Verlobungsschein direkt ins Altpapier entsorgt. Romantisch ist an diesem Bollywood-Film eigentlich gar nichts, auch wenn die Musik alles zuzuckert, bis einem der Magen schmerzt. Und Hals über Kopf verliebt sie sich zumindest überhaupt nicht - denn sie muss erst langsam aufdecken, was für ein toller lieber Mann da in ihrem Apartment gelandet ist, der sich morgens noch mit einer Brechorgie über ihrer Toilette vorgestellt hatte. I Love New Year ist eine schablonenhafte Komödie auf Autopilot, deren gelungene Überraschungen man an einer Hand abzählen kann. Denn es kommt alles so, wie es schon immer war und man es eigentlich niemals hatte sehen wollen.

Sunny Deol mag ein smpathischer Mensch sein, in diesem Film wirkt er Fehl am Platze. Er ist offensichtlich bereits in seinen besseren Jahren (auch das Joggen im Park geht nicht mehr so gut), und muss hier ernsthaft den neuen Liebhaber der superknackigen, völlig faltenfreien Kangana Ranaut mimen. Das ist wenig glaubhaft, denn er ist dreißig Jahre älter als sie. Die junge Dame ihrerseits allerdings konnte mich noch in keinem ihrer Filme überzeugen, und auch hier verrennt sie sich immerzu ins Overacting hinein, sobald mal etwas mehr Ausdruck gefordert ist. Sie habe sogar ein halbes Jahr Musikunterricht genommen für I Love New Year, denn es finden sich zwei großartige selbst gespielte Musiknummern in diesem Film. Sie sind ungefähr 3 Sekunden lang, einmal ein Geklimper auf der Gitarre, bei der die Finger gar nicht richtig auf dem Griffbrett aufliegen, und ein andermal klimpert sie im Stehen eine melancholische Melodei auf dem Klavier, bevor sie von hinten umarmt und getröstet wird. Das waren wirklich beachtliche musikalische Leistungen. Ansonsten muss sie nur gut aussehen und, nun ja, hübsch verloren sein, vielleicht mal quengeln. Man darf aber nicht zu bösartig sein, denn der Film, der größtenteils als Kammerspiel angelegt ist, gibt einfach überhaupt nichts her. Vielleicht liegt es auch an diesen Gründen, dass die Hauptdarstellerin versucht haben soll, die Veröffentlichung des Films per Gerichtsbeschluß zu verhindern. Der ist nämlich schon seit gut drei Jahren fertig und wurde vom Studio absichtlich zurückgehalten, um nun, nach Ranauts Erfolgen, ordentlich Knete in die eigenen Kassen zu spülen. Eine unerfreuliche Praxis, in der Tat. Und deshalb breche ich das jetzt auch hier ab, denn man soll seine Kräfte schonen für die Herausforderungen, die sich lohnen.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Sleep Has Her House (Scott Barley, GB 2016)

"And the dark is always hungry." (Scott Barley) Scott Barley's apocalyptical drone-room of a film is a fascinating experience. Not only a film to watch, but definitely one to listen to, as the audio is almost as impressive as its pictures. Very often, the images are blurred in the beginning, but with the slightest movements of the camera, the picture does get clearer, more concrete, focused, but sometimes nothing happens at all, too. Nevertheless, the film feels very dynamic - it's a weird state of an inherent Bildspannung , a suspense (and tension that might rip apart) inside of the images themselves that keeps you totally immersed.  Static movement  of the camera might be the term of technique to describe the process of capturing those dreamlike images, which are almost incomprehensive at first, always hard to grasp. As there seems to be no plot, no dialogue, no actors, there are none of the usual narrative anchors that guide us through a film, or movie. O...

Aido: Slave of Love (Susumu Hani, Japan 1969)

Here are some pictures I took during a private screening of Susumu Hani's extremely rare and seldom seen feature film  AIDO - SLAVE OF LOVE , which is the movie Hani made after the famous NANAMI: INFERNO OF FIRST LOVE. The film is beautifully shot, completely absorbing and structurally abandoning all narrative consensus - it is somehow - for most of the time - a subjective trip into the mind of the protagonist Shusei (Kenzo Kawarasaki). As you can asume, a dreamlike state predominates the film; and with its' devotion to extensively focussing on the details of the body while making love, presented in detailed close-ups, aswell as its' beautifully daring setpieces, it reminded me to some extent of Toshio Matsumoto's experimental oeuvre, as for example in his short film PHANTOM . AIDO was submitted to the competition-section of the 19th Berlin International Film Festival (aka Berlinale) - a fact that is quite astonishing, if you consider the direction the main section of ...