Direkt zum Hauptbereich

Chongqing Hot Pot (Yang Qing, China 2016)


 Writer-Director Yang Qing hat sich gute fünf Jahre Zeit gelassen, bis er endlich mit seinem zweiten Film, dieser wunderbar genremechanistischen Crime-Komödie nachgelegt hat. Ein sympathischer, aber auch dunkler weil regennasser Film mit viel Tempo, Gespür für seine Stadt, eine Megalopolis im hinteren südwestlichen China, und einem Cast, der diesen Film locker stemmt. Aloys Chen als Taugenichts Liu Bo und Bai Baihe (Monster Hunt, Go Away Mr. Tumor!) als Mauerblümchen Yu Xiaohui sind die beiden Hauptfiguren neben zwei Sidekicks, die einmal Ernsthaftigkeit und einmal Slapstick in den Viererverbund reinbringen. Aber die Eröffnung ist eine handfeste Actionszene, in der eine Bank ausgeräumt wird, wo eben jene junge Dame eine Anstellung gefunden hat. Man wähnt sich wie in einem der harten Gangsterfilme von Johnnie To: nächtliches Neon, starker Regen, kompromissloser Waffeneinsatz einer Räuberbande, die mit Gesichtsmasken aus Journey to the West die Bank erstürmt. Aber anders dann als bei To, wo alles motiviert erscheint aus einer inneren Logik heraus, wo jeder Puzzlestein folgerichtig zu einem anderen Ereignis führt, so ist bei Chongqing Hot Pot der Zufall bestimmend für das weitere Schicksal. Hier hat keiner einen Plan, und der Film schlingert frei atmend durch seine Genreanspielungen hindurch, wie die Figuren morgen schon vielleicht nach Beijing abreisen - oder eben doch nicht. 

 Was auch einiges über die Gesellschaft sagt, diese Kontingenz, die den Film zu grundieren scheint. Und über die Leben, die in dieser Gesellschaft geführt werden. Das alte Modell, das in Form des Großvaters im Film aufscheint, der gepflegt werden muss und der von allen immer Zigaretten zugesteckt bekommt, wirkt wie ein Relikt aus vergangener Zeit. Und obwohl der Mann schon im Rollstuhl sitzt, hat man immer den Eindruck, dass er sich, gutgelaunt wie er ist,  gleich selbst auf die Brüstung des Balkons legt und eine Rolle vorwärts macht. Ganz so, als wolle er niemandem mehr zur Last fallen - seine Zeit ist vorbei. Und im anonymen Hochhaus mit den hunderten Mietparteien ist er auch nicht am richtigen Ort. Man kann ihn sich gut in einem Hutong vorstellen, eingepflegt in die Gemeinschaft, wo jeder jeden kennt. Doch diese Zeit ist, wie gesagt, vorbei und der Film findet dafür auch keine nostalgischen Bilder mehr. Vielmehr zeigt er Stadt als Großstadt in den Kameraflügen auf das dicht gepackte Zentrum zu, das von braunen Flüssen umspült wird. Yang inszeniert das wie einen gigantischen Moloch, der über Autobahnbrücken und Ferntrassen erreichbar ist, als ob man in ein Herz aus Beton hineinfahren würde.

 Allerdings, das muss man dem Film schon zugute halten:  Kontingenz hin oder her, beliebig ist er niemals. Er weiß schon, was er will, nur verheimlicht er das immer wieder geschickt durch seine Anspielungen, das schnelle Ausscheren in benachbartes Gebiet. Es deutet sich zum Beispiel auch eine Liebesgeschichte an; nur ist es nun so, bevor publikumsseits gestöhnt wird, dass hier einmal das Mädchen den Typen bekommen will - und dieser es aber am commitment mangeln lässt. Wenigstens will sie dann aber das Geld, das als Beute abholbereit zwischen den drei Parteien steht. Nur: wer wird das Massaker überleben? Doch zurück zur Handlung: Die drei Jungs, alte Schulfreunde, haben in einem der Bombenshelter, lange Höhlen, die es wohl zuhauf gibt in dieser Stadt, ein Hot Pot Restaurant gebaut. Dort gibt es viele solche, ist es doch das regionale Spezialgericht. Beim illegalen Ausbau der Räumlichkeiten ist man bei einem Wanddurchbruch zufällig im Tresorraum der Bank gelandet. Nun, wenn das kein Schicksalswink ist! Zugleich aber ist die Bande eines üblen Geldverleihers hinter Liu Bo her, der kann nämlich seine Spielschulden nicht mehr bezahlen. Was also läge näher, sich einfach zu bedienen, wo doch der Zaster schon vor einem liegt?

 Nun, die Bankräuberbande von anfangs hat da was dagegen, denn sie will die Beute schließlich für sich selbst. Und so kommt es am Ende dieses gut 90 minütigen Films zu einem feinen Finale, in dem die drei verfeindeten Gruppen aufeinandertreffen. Klar, Polizisten gibt es auch noch, die haben aber nicht allzuviel zu melden in diesem Film. Hier wird also einiges heiß zusammengerührt in diesem Hotpot, und das ist schon bewundernswert, wie Yang alles zusammenhält, sauber ausführt und gute Anschlüsse hinbekommt, sodaß im Film alles konsekutiv Sinn und Spaß macht. Wie hier souverän mit den Plottwists jongliert wird, lässt den Zuschauer auch gutmütig über die seichteren, banalen Stellen hinwegsehen. Auch wenn das Finale etwas überdehnt wirkt und die dunkle Ruppigkeit der Settings, die übrigens mehr an südkoreanische Thriller denken lässt, denn an Hong Kong - wie auch das ganze digitale Color-Grading dem Film einen ungemütlichen Beigeschmack verleiht -, so ist der Film in seinem Kern doch eine gutmütige Buddy-Komödie, die die auseinander zu brechen drohende Beziehung der Freunde schlußendlich zu konsolidieren weiß. Chongqing Hot Pot ist nun nicht der ganz große Wurf Yangs, aber zumindest ein sehr unterhaltsamer.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten, wie er um si

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra