Es ist ein warmer Abend. Wir sitzen zusammen vor der Naxoshalle, während es immer dunkler wird. Ein weiterer Tag der Nippon Connection liegt hinter uns mit all den Filmen, Veranstaltungen, dem Essen, den vielen Begegnungen und endlosen Gesprächen. Man wünscht sich immer den Austausch, während man als Einzelgänger durchs Jahr wandert, angeschlossen an die Gemeinschaft der Gleichgesinnten nur durchs Netz, Twitter und Facebook oder so – hier trifft man sich leibhaftig einmal im Jahr. Und da wird vieles nachgeholt, habe ich den Eindruck. Manche haben ein so großes Mitteilungsbedürfnis, dass der Schwall der Worte im Rauschen des Festivalsounds aufgeht. White Noise Nippon Connection. Man kann sich aber drin treiben lassen, es ist ein gutes Gefühl.
Der Tag hatte in großer Runde angefangen, beim Bloggerfrühstück in der Naxoshalle. Dankenswerterweise von den Jungs von Schöner Denken organisiert, in Unterstützung durch die Presseabteilung des Festivals. Jeder stellt sich vor, gibt Tipps und seine persönliche Top Drei. Einzelne Themen werden diskutiert, bis die ersten bald schon wieder aufbrechen müssen: der nächste Film wartet, oder eine dringende Rezension, die noch geschrieben werden muss. Wenn ich mich für einen Film entscheide, dann entscheide ich mich gegen einen anderen. Da hilft der Screening-Room des Veranstalters ab. Hier könnte man theoretisch nachholen, was man umständehalber zwangsläufig verpassen muss. In der Realität bleibt aber nie genügend Zeit. Man könnte auch einmal etwas essen, und der nächste Podcast-Beitrag, den man leichtsinnigerweise zugesagt hat, muss auch noch aufgenommen werden. Mir fällt nur gerade nichts Kluges ein. Vielleicht merkt es ja keiner, wenn ich schwänze.
Mr. Long zeigt uns jedenfalls und zum Glück wieder einen anderen Sabu, als den vom äußerst mediokren Happiness – einen Film, den ich wirklich nicht besonders mochte. Er wird wohl nie wieder einen Dangan Runner oder einen Blessing Bell machen, damit muss man sich abfinden. Aber das hier ist schon auch sehr schön geschossen, stimmungsvoll, mit Power, etwas uneben und unausgeglichen. Viele Filme in einem. Aber unübersehbar mit Herzblut gemacht. So wie sein Miss Zombie (2013), der ja leider international (also genauer: im Westen) ziemlich untergegangen ist. Obwohl der Film so spektakulär gut aussieht. Hiroyuki Tanaka ist jetzt über 50 und ich hoffe, dass er bald in die Phase seines Alterswerks eintritt, noch viele weitere Filme machen wird, sich auf seine Stärken besinnt und rücksichtslos eigenständiges Kino machen wird.
Kiyoshi Kurosawa hingegen macht mit Daguerrotype einen Film fürs europäische Arthouse-Publikum, produziert von arte und mit Blick auf große Filmfestivals. Da ist er thematisch sehr weit weg vom letztjährigen Creepy. Die Geisterfiguren aus Journey to the Shore – und sowieso aus seinem Frühwerk – schauen jedoch ab und an vorbei und winken die Protagonisten ins Grab. Hier ist viel Kordhose angesagt, moosfarbene Gemäuer, etwas britische Gothic und französische Dekadenz. Die metaebenenmäßige Dopplung des Filmbilds im photografischen Bild wird als Aufhänger benutzt, das Aufhalten der Vergänglichkeit (auch Uhren bleiben stehen) im reinsten, weiblichen Antlitz sollen eine Überzeitlichkeit herstellen, während zugleich die Abgebildete langsam zugrunde gerichtet wird. Was sich aber erst spät im Film herausstellt. Das ausbeuterische Inzestmotiv wird gekoppelt in dieser Erzählung mit einer Prekariatsgeschichte, in der Tahar Rahim (Un prophète (Jacques Audiard), Le passé (Asghar Farhadi)), einer der neuen Stars aus Frankreich, dem Besitzer des Anwesens eben jenes entwenden soll durch einen zwielichtigen Grundstücksdeal. Obwohl recht viel passiert, der Film phantastisch geschossen ist, bleibt alles kilometerweit vom Zuschauer weg und ist trocken wie Knäckebrot. Die symbolgeladenen Bilder laden ein zur Interpretation, da hier alles nach Kunst schreit, und dennoch, man vermutet’s, nur Abbild oder Zitat ist. Mir schien, anschließend waren alle unzufrieden mit diesem Film, und viel zu erschöpft, um überhaupt über den Film zu sprechen.
Viel gesprochen wurde allerdings beim Gespräch mit Ursula Gräfe, der Übersetzerin von Haruki Murakami (neu als Taschenbuch: Von Männern, die keine Frauen haben) und Keigo Higashino. Das ist übrigens der Autor, nach dessen Bücher die Filme Villain und The Devotion of Suspect X (hochspannend und auf deutsch mit dem Titel Verdächtige Geliebte) gedreht wurden, und die man als Nippon Connection-Besucher also durchaus kennen könnte. Das Gespräch war lustig, informativ, ausführlich. Gräfe: sehr sympathisch. Sich selbst zurücknehmend, bescheiden, kaum einmal dazu bereit, die errungenen Leistungen sich zuzugestehen. Das sollen andere machen, stand da unausgesprochen im Raum, was sie natürlich noch sympathischer machte. Ein wenig einsam wirkte sie aber auch, wie ein Planet, der die Erde umkreist in ihrer Leidenschaft für die japanische Literatur und Kultur. Und schade, dass in dieser Richtung nicht noch etwas tiefer gebohrt wurde. Aber egal, im Raum war es heiß, weil es so voll war und draußen war Sommer. Und im Herzen der Zuhörer war auch überall Sommer.
Irgendwann ist es dann dunkel geworden. Wenn es dunkel wird, dann ist es am Schönsten auf dem Festivalgelände. Dann tut es auch nicht mehr so weh, wenn die kleine Frau von der Cafébar im Mousonturm wieder ganz streng geschaut hat. Und kein Lächeln aus ihr herauszubekommen war, obwohl man ganz besonders freundlich war. Und Trinkgeld gegeben hat, obwohl,… naja, deren Kaffee halt auch einfach beschissen ist. Aber alles egal. Es wird dunkel, man wird angequatscht, lässt sich auch gerne mal anquatschen. Und wenn man ganz besonders gut gelaunt ist, dann holt man sich lieber ein Bier, als sich noch einen Film reinzuziehen. Die Panik, etwas zu verpassen steigt kurz auf, wird aber erfolgreich bekämpft. Drüben raucht einer einen Joint. Aha. Schön, jeder so, wie er will. Morgen ist auch noch ein Tag, denke ich mir, und die Filme: hören sich eh alle geil an. Ich hole mir noch ein Bier, weil: wer braucht schon Schlaf, wenn man sich so wohl fühlt. Hauptsache, man ist mal vollkommen anwesend. Und während ich so ganz zur Ruhe komme, kreuzt Thomas plötzlich auf. Lächelt schelmisch und schmeißt das Mikrofon an. Jut, also gut. 1 Podcast noch.
Der Tag hatte in großer Runde angefangen, beim Bloggerfrühstück in der Naxoshalle. Dankenswerterweise von den Jungs von Schöner Denken organisiert, in Unterstützung durch die Presseabteilung des Festivals. Jeder stellt sich vor, gibt Tipps und seine persönliche Top Drei. Einzelne Themen werden diskutiert, bis die ersten bald schon wieder aufbrechen müssen: der nächste Film wartet, oder eine dringende Rezension, die noch geschrieben werden muss. Wenn ich mich für einen Film entscheide, dann entscheide ich mich gegen einen anderen. Da hilft der Screening-Room des Veranstalters ab. Hier könnte man theoretisch nachholen, was man umständehalber zwangsläufig verpassen muss. In der Realität bleibt aber nie genügend Zeit. Man könnte auch einmal etwas essen, und der nächste Podcast-Beitrag, den man leichtsinnigerweise zugesagt hat, muss auch noch aufgenommen werden. Mir fällt nur gerade nichts Kluges ein. Vielleicht merkt es ja keiner, wenn ich schwänze.
Mr. Long zeigt uns jedenfalls und zum Glück wieder einen anderen Sabu, als den vom äußerst mediokren Happiness – einen Film, den ich wirklich nicht besonders mochte. Er wird wohl nie wieder einen Dangan Runner oder einen Blessing Bell machen, damit muss man sich abfinden. Aber das hier ist schon auch sehr schön geschossen, stimmungsvoll, mit Power, etwas uneben und unausgeglichen. Viele Filme in einem. Aber unübersehbar mit Herzblut gemacht. So wie sein Miss Zombie (2013), der ja leider international (also genauer: im Westen) ziemlich untergegangen ist. Obwohl der Film so spektakulär gut aussieht. Hiroyuki Tanaka ist jetzt über 50 und ich hoffe, dass er bald in die Phase seines Alterswerks eintritt, noch viele weitere Filme machen wird, sich auf seine Stärken besinnt und rücksichtslos eigenständiges Kino machen wird.
Kiyoshi Kurosawa hingegen macht mit Daguerrotype einen Film fürs europäische Arthouse-Publikum, produziert von arte und mit Blick auf große Filmfestivals. Da ist er thematisch sehr weit weg vom letztjährigen Creepy. Die Geisterfiguren aus Journey to the Shore – und sowieso aus seinem Frühwerk – schauen jedoch ab und an vorbei und winken die Protagonisten ins Grab. Hier ist viel Kordhose angesagt, moosfarbene Gemäuer, etwas britische Gothic und französische Dekadenz. Die metaebenenmäßige Dopplung des Filmbilds im photografischen Bild wird als Aufhänger benutzt, das Aufhalten der Vergänglichkeit (auch Uhren bleiben stehen) im reinsten, weiblichen Antlitz sollen eine Überzeitlichkeit herstellen, während zugleich die Abgebildete langsam zugrunde gerichtet wird. Was sich aber erst spät im Film herausstellt. Das ausbeuterische Inzestmotiv wird gekoppelt in dieser Erzählung mit einer Prekariatsgeschichte, in der Tahar Rahim (Un prophète (Jacques Audiard), Le passé (Asghar Farhadi)), einer der neuen Stars aus Frankreich, dem Besitzer des Anwesens eben jenes entwenden soll durch einen zwielichtigen Grundstücksdeal. Obwohl recht viel passiert, der Film phantastisch geschossen ist, bleibt alles kilometerweit vom Zuschauer weg und ist trocken wie Knäckebrot. Die symbolgeladenen Bilder laden ein zur Interpretation, da hier alles nach Kunst schreit, und dennoch, man vermutet’s, nur Abbild oder Zitat ist. Mir schien, anschließend waren alle unzufrieden mit diesem Film, und viel zu erschöpft, um überhaupt über den Film zu sprechen.
Viel gesprochen wurde allerdings beim Gespräch mit Ursula Gräfe, der Übersetzerin von Haruki Murakami (neu als Taschenbuch: Von Männern, die keine Frauen haben) und Keigo Higashino. Das ist übrigens der Autor, nach dessen Bücher die Filme Villain und The Devotion of Suspect X (hochspannend und auf deutsch mit dem Titel Verdächtige Geliebte) gedreht wurden, und die man als Nippon Connection-Besucher also durchaus kennen könnte. Das Gespräch war lustig, informativ, ausführlich. Gräfe: sehr sympathisch. Sich selbst zurücknehmend, bescheiden, kaum einmal dazu bereit, die errungenen Leistungen sich zuzugestehen. Das sollen andere machen, stand da unausgesprochen im Raum, was sie natürlich noch sympathischer machte. Ein wenig einsam wirkte sie aber auch, wie ein Planet, der die Erde umkreist in ihrer Leidenschaft für die japanische Literatur und Kultur. Und schade, dass in dieser Richtung nicht noch etwas tiefer gebohrt wurde. Aber egal, im Raum war es heiß, weil es so voll war und draußen war Sommer. Und im Herzen der Zuhörer war auch überall Sommer.
Irgendwann ist es dann dunkel geworden. Wenn es dunkel wird, dann ist es am Schönsten auf dem Festivalgelände. Dann tut es auch nicht mehr so weh, wenn die kleine Frau von der Cafébar im Mousonturm wieder ganz streng geschaut hat. Und kein Lächeln aus ihr herauszubekommen war, obwohl man ganz besonders freundlich war. Und Trinkgeld gegeben hat, obwohl,… naja, deren Kaffee halt auch einfach beschissen ist. Aber alles egal. Es wird dunkel, man wird angequatscht, lässt sich auch gerne mal anquatschen. Und wenn man ganz besonders gut gelaunt ist, dann holt man sich lieber ein Bier, als sich noch einen Film reinzuziehen. Die Panik, etwas zu verpassen steigt kurz auf, wird aber erfolgreich bekämpft. Drüben raucht einer einen Joint. Aha. Schön, jeder so, wie er will. Morgen ist auch noch ein Tag, denke ich mir, und die Filme: hören sich eh alle geil an. Ich hole mir noch ein Bier, weil: wer braucht schon Schlaf, wenn man sich so wohl fühlt. Hauptsache, man ist mal vollkommen anwesend. Und während ich so ganz zur Ruhe komme, kreuzt Thomas plötzlich auf. Lächelt schelmisch und schmeißt das Mikrofon an. Jut, also gut. 1 Podcast noch.
Michael Schleeh
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Dieser Text wurde in leicht veränderter Form zuerst auf der Seite der Nippon Connection als Gastbeitrag veröffentlicht.
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