Strenge Kompositionen, die beschädigt werden: Jun Tanakas verstörender Horrorfilm BAMY (Japan, 2017)
Schon in den ersten Minuten wird vollkommen klar, wie souverän Jun Tanaka in seinem Spielfilm-Regiedebüt agiert: lange Phasen ausgedehnter Ruhe wechseln sich ab mit subtilen, dabei intensiven Störungen des allzu gewohnten Alltags. Ein Schirm, der plötzlich durchs Bild fliegt, ein alter Bekannter, der plötzlich auftaucht und schräg unter dem Kapuzenpulli hervorschaut sind Elemente schon ganz am Beginn des Films, die eine stark verunsichernde Atmosphäre erschaffen. Strukturell wird der Film zunächst über seine Kamerabewegungen definiert: eine senkrechte Achse (die Fahrt der Protagonistin im gläsernen Fahrstuhl) wird um eine waagerechte Achse (der Weg über den Vorplatz) ergänzt, was dem Film den Eindruck einer genau durchdachten Konstruiertheit und somit Zielgerichtetheit zugrundelegt, die durch das Element des herabfallenden Schirms aufgebrochen wird. Strenge Kompositionen, die beschädigt werden. Geometrien. Bild-Ton-Scheren. Außerdem erklingen auf der Tonspur urplötzlich abstrakte Atmosphärengeräusche, ein Knarzen und Pfeifen und Quietschen wie aus dem Orchestergraben, was größeres Unheil präludiert. Was also bleibt nach fünf Minuten Eröffnung: ein Versprechen auf einen außergewöhnlichen Film, thematisch und formal dicht gesponnen und eng vernetzt mit Mut zum Besonderen und vor allem: zur Stille. Kiyoshi Kurosawa fällt einem da ein, als Großmeister im Hintergrund, und als erste Orientierung ist das vielleicht gar nicht mal ein so schlecht gewählter Vergleich.
Jun Tanaka gelingt es, sogar das innige Küssen der beiden Verlobten als bedrohlichen Akt zu inszenieren. Die Leidenschaft gerahmt von strenger Architektur und in kahlen Räumen verströmt nicht nur den Eindruck des Klinischen, sondern des Pathologischen. Das lässt am Hauptdarsteller zweifeln, der sich immer merkwürdiger verhält. Auch an seinem Arbeitsplatz: der in einem wie außerweltlichen Lager arbeitet, dort kommissioniert und mit dem Stapler herumfährt. Plötzlich unterlaufen ihm Fehler, seine Arbeitsleistung leidet. Das liegt aber nicht an seinem erschöpfenden Liebesleben, sondern an seiner Fähigkeit, Geister (yurei) zu sehen. Und das eben auch im Lager, wie auf dem Balkon oder im Restaurant. Seine zukünftige Gattin hat allerdings wenig Verständnis dafür, dass sich ihr Geliebter plötzlich so merkwürdig eingefroren verhält. Wie auch bei Kurosawa sind diese Geister einfach von nun an da, anwesend im Filmbild, ohne viel zu machen. Ihr bloße Präsenz reicht vollkommen aus, um eine völlig creepige Atmosphäre zu schaffen.
Jun Tanakas BAMY ist ein J-Horror-Film, der in den letzten Monaten erfolgreich bei einigen kleineren Festivals gelaufen ist, etwa beim Osaka Asian Film Festival 2017, und das völlig zurecht. Denn obwohl der Film ein typischer slow burner ist, kann man die Spannung manchmal kaum aushalten. Außerdem ist BAMY ein prinzipiell mysteriöser Film, der stets im Dunkeln oder im Halbschatten spielt. Lassen sich einmal hellere Flächen im Bild finden, dann sind sie streng geframet von einer auf Züchtigung programmierten Kamera. Die permanente Nähe zum Jenseits lässt den Zuschauer also niemals los, stets wähnt man sich an der Schwelle des Todes. Das Diesseits ist durchlässig geworden.
Dass der Film dann im letzten Drittel noch eine dritte Protagonistin findet, tut ihm gut. Plötzlich ergeben sich neue Allianzen und Konstellationen, dem scheinbar Unangreifbaren vielleicht doch noch etwas entgegensetzen zu können. Auf einen Twist zu verzichten und dennoch am Ende zu überraschen, derart dem J-Horror-Film neue Impulse zu geben, das hätte man nicht unbedingt von einem so kleinen Indie-Film erwartet, der gerade mal 6000€ gekostet hat. Man darf gespannt sein, wohin es Jun Tanaka noch führen wird. Es ist ihm zu wünschen, dass er auch weiterhin noch solch eigensinnig schönen Projekte zu realisieren in der Lage ist.
Michael Schleeh
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A huge "Thank You!" to Jun Tanaka who made it possible for me to watch this movie.
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