Direkt zum Hauptbereich

Ein Mann ist nicht zu fassen: MAIN AUR CHARLES von Prawaal Raman (Indien, 2015)

 

"Charles is an intellectual, he is the reincarnation of Buddha!"

 In diesem indischen Caper-Movie ist nicht nur der Protagonist Charles (Randeep Hooda) nicht zu fassen, sondern der Film als solches ebensowenig. Die weithin als Biopic angekündigte Gangsterballade ist die Idealisierung eines Verbrechers, der mit seinem Charme vor allem die Damenwelt betören konnte, um sie anschließend auszunehmen. Dabei hat er auch keinerlei Hemmungen, wenn Blut fließt oder es zu schwereren Kollateralschäden kommt.

 Der Film, der als 80er-Hommage angelegt ist, dabei aber ständig den Geist der 70er atmet, etwa in Klamotten, Lebenseinstellung und Musik, ist ein schwer erträglicher Mischmasch aus Dingen, die Spaß machen sollen, und dabei nur nerven. Denn eine eigentliche Geschichte erzählt er nicht. Was nicht schlimm wäre, würde man sich in interessanten visuellen Bildwelten verlieren können, etwa beim permanenten Drogen- und Alkoholkonsum der Darsteller, oder dem ständig verfügbaren Geschlechtsverkehr.

 So ist es aber nicht. Alles wird zusammenhanglos montiert. Das Editing versucht dabei geradezu gewaltsam dem Film einen interessanten Spannungsbogen zu verpassen, und mit Zeitsprüngen, Texttafeln und Zeitungsausrissen Authentizität herzustellen. Doch will das alles nicht zu einer Einheit finden. Es ist ein heißer Brei, um den (sich) herum gedreht wird, und nicht mehr. Und das steinerne Gesicht Randeep Hoodas, der immer cool und mysterisch zugleich aussehen will, fügt dem Film nun auch nicht gerade neue Aspekte hinzu.

 Dass Charles als Person ganz verschiedene Persönlichkeiten vereinigt, so wie im obigen Filmzitat genannt, macht ihn zu einer so schillernden, vielgestaltigen Figur. Und genau so schwer zu greifen. Jeder, der ihm begegnet, lernt einen anderen Charles kennen. Neben Serienkiller, Intellektuellem und Buddha-Inkarnation ist er noch Schriftsteller, Leser, Liebhaber, Drogenhändler, Waffenschieber, Heiratsschwindler, Ausbruchsspezialist, und noch vieles mehr. Er ist ein Chamäleon, mit schief sitzender Schiebermütze, nonchalant lächelnd, selbst wenn ihm der Prozeß gemacht wird. Schade nur, dass Radeep Hooda nichts besseres einfällt, als verschmitzt und wissend zu lächeln. Allerdings reicht das im Film auch schon aus, dass ihm die Frauenherzen zufliegen. Es ist kaum auszuhalten.

 MAIN AUR CHARLES ist ein filmisches Desaster. Schlechte Schauspieler hangeln sich durch caper-movie-Klischees, unterlegt von James-Bond-artiger-Filmmusik, und die Zuschauer sollen diese debile Veranstaltung irgendwie teuflisch amüsant finden. Es ist lediglich die grundsolide Leistung von Adil Hussain, die mich den Film überhaupt zuende schauen ließ. Er spielt den Kommissar Amod Kanth mit Souveränität und zuverlässiger Präzision. Der einzige Leuchtturm in dieser cineastischen Vollkatastrophe.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m