Direkt zum Hauptbereich

Ritt durch die Hölle: SHAITAN von Bejoy Nambiar (Indien 2011)



 Ein Hindi-crime-Film, produziert von Anurag Kashyap und mit Kalki Koechlin, noch sehr jung, in der Hauptrolle. Einmal hat sie eine gelbe Mütze auf, was dann wie ein Komplementärbild zu Kashyaps selbst gedrehtem GIRL WITH THE YELLOW BOOTS wirkt. Hier hat er nur produziert, der wilde Mann des Hindi-Kinos, und das Projekt dem damaligen Neuling Nambiar anvertraut. Der Film wirkt dann auch bei weitem nicht so souverän inszeniert wie der geistesverwandt ruppige RAMAN RAGHAV, so ein Niveau darf man nicht erwarten - aber SHAITAN ist dennoch ein ziemlich wahnsinniger Ritt durch die nächtliche Hölle. Unrund, wild, anarchisch, extravagant und oft einfach nachgemacht. Nambiar hat mittlerweile eine ganze Handvoll Filme realisiert, am bekanntesten sicherlich der von 2016, WAZIR mit Amitabh Bachchan, der mir leider nicht sonderlich gefallen hat.

 Die junge Amy/Amrita (Kalki Koechlin) schließt sich einer Gruppe hedonistischer Vergnügungssüchtiger an und feiert die Nächte durch. Drogen, Alkohol, Disco. Mit einem dicken Hummer blasen sie durch die Straßen und einmal bei einem Autorennen, da geht alles schief. Im Rausch überfahren sie zwei Passanten und nehmen Reißaus. Ein Polizist, der ihnen auf die Spur kommt, erpresst sie. Doch keiner hat das nötige Geld, um sich freizukaufen. Obwohl sie aus vornehmen und reichen Familien stammen. Da kommen sie auf die klasse Idee, Amy "zum Schein" zu entführen und von ihrem Vater Lösegeld zu fordern. Um so den Polizisten zum Schweigen zu bringen. Dass das alles schief gehen muss, kann man sich denken.

 SHAITAN ist vor allem in der zweiten Hälfte - nach der Intermission - ein hochdynamischer Film. Die überkandidelten Kameraspielereien des Anfangs mit gewollt komischen Perspektiven, Über-Kopf-Drehungen und ruppigen Zooms weichen dann einer soliden Action-Inszenierung, die ihren Höhepunkt sicherlich in der Verfolgungsjagd des korrupten Kommissars durch die engen Gassen des Slums findet. Das ist hochspannend und knallig, ohne in überbrutale Schaustellerei auszuarten.

 Verfolger in dieser Szene ist der knallharte und in Ungnade gefallene Policewhalla Arvind Mathur, der vom sympathischen Rajeev Khandelwal gespielt wird. Ein beliebter Film- und TV-Akteur, der in den darauffolgenden Jahren eine ordentliche Karriere hinlegen sollte. Kalki Koechlin spielt, wie so häufig, eine leicht durchgeknallte Person, wobei ihr Zustand ganz unfancy klinisch ist. Wie übrigens der ihrer Mutter, die sie ausschließlich in einer Irrenanstalt erleben musste, und somit ordentlich traumatisiert ist. Hier kommt dann auch noch ein NRI-Thema hinein, das ihre helle Hautfarbe erklären soll, vermutlich. Koechlin ist in SHAITAN noch nicht so souverän wie in dem viel späteren und supertollen WAITING von Anu Menon, wo sie an der Seite von Naseeruddin Shah brillieren konnte.

 SHAITAN ist ein recht spannender und chaotischer Film, und vielleicht nicht wirklich "gelungen", wenn man ausschließlich runde Kunstwerke als geglückt empfindet - aber er ist mutig, derbe, und vielversprechend. Er zeigt einen Regisseur und seine Darsteller am Beginn einer Karriere, von denen man 2011 viel erwarten konnte. Alleine deswegen würde ich ihn jederzeit empfehlen.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Two famous female writers from Japan: Yû Miri's 'Tokyo Ueno Station' & Hiromi Kawakami's 'People from my Neighbourhood'

TOKYO UENO STATION is not a straight narrative, but rather a quite experimental novel. As "the plot" unravels in flashbacks - by an obscure, already seemingly dead medium floating around Ueno park, the story of a life of hardship  is slowly being revealed. Of heavy labor, broken families, financial troubles and finally: homelessness. This is not the exotistic Japan you will find on a successful youtuber's channel. The events get illustrated by those of "greater dimensions", like the historical events around Ueno park hill during the Tokugawa period, the Great Kanto earthquake, the fire bombings at the end of WW II or the life of the Emperor. Quite often, Yû Miri uses methods of association, of glueing scraps and bits of pieces together in order to abstractly poetize the narrative flow . There are passages where ideas or narrative structures dominate the text, which only slowly floats back to its central plot. TOKYO UENO STATION is rather complex and surely is n...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...