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Und dann friert die Pfütze zu: Liebe am Papierrand (Yoko Ogawa, 1991/2005)


 Abgesehen vom obligatorisch esoterischen Asien-Coverbild auf dem Buchdeckel, das die Erwartungshaltung in eine völlig falsche Richtung lenkt, ist dieses Buch, eine Kranken- und Liebesgeschichte einer Frau zu einem mysteriösen Stenographen mit schönen Händen, vor allem aber eines für Ohrenfetischisten. Laut Wikipedia war dieses der erste große, erfolgreiche Roman der Autorin und vielleicht ja auch eine Hommage an Murakami Haruki, dessen Ohren-Obsession hinlänglich bekannt ist. Es hagelte jedenfalls Literaturpreise in Japan.

 Es ist ein leises Buch, noch viel leiser als die Eulersche Formel, und ein präzises in der Beobachtung des Alltäglichen. Die Figuren sind noch behutsamer und rücksichtsvoller gegen sich selbst und die Umwelt. Hier wird viel in Erinnerungen geschwelgt und in Gefühlszuständen, die nur mit ständig eingeschaltetem Seismographen wahrgenommen werden können. So ziemlich das Gegenteil von einem Ryu Murakami-Roman, aber keinesfalls besser. Und dann fällt Schnee, oder es legt sich Staub ab, oder eine Pfütze friert zu.

 In vielerlei Hinsicht verhalten sich die Figuren, wie man es von betagten Herrschaften erwarten würde - insofern war ich überrascht irgendwann mitzubekommen, dass die Frau mit dem Ohrenleiden, die Protagonistin, erst Anfang dreißig sei. Trotzdem wird häufig in einem muffigen Hotel gegessen, das aus der Zeit gefallen scheint, es wird invalide durch die Gegend gestolpert und stundenlang dem Schnee beim Fallen zugeschaut. 

 Jenseits allen Zynismus' muss man aber der Autorin zugute halten, dass das Buch, bevor es am Ende jegliche Bodenhaftung verliert - "Würden Sie ihre Finger meinen Ohren zur Vefügung stellen?" - durchaus einen Sog entwickelt und in einer eigenen, reduzierten und genauen Sprache geschrieben ist. Poetisch, an der Grenze zum Gedicht.

 Insgesamt ist Liebe am Papierrand aber ein merkwürdiger Hybrid, der sich nicht recht zwischen japanischem Minimalismus und überhöhter Erinnerungs-Folklore entscheiden kann. Alles hat Bedeutung, und dann verliert man sich im Labyrinth der Erinnerungen. Sprichwörtlich. Ganz anders, als die harte Mechanik in Sayaka Muratas aktuellem Konbini-Bestseller Die Ladenhüterin. Ein Buch, sicher nicht für jedermann.

Michael Schleeh

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