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At the very Bottom of Everything / Di dasar segalanya (Paul Agusta, Indonesien 2010)

...ist ein experimenteller Film über eine Frau mit bipolarer Störung, einer Frau, die also manisch depressiv ist. Das Krankheitsbild dieser psychischen Störung ist meines Wissens eines der enormen (Stimmungs- und Antriebs-) Schwankungen; so ist der Kranke entweder enorm aktiviert (manisch) oder extrem antriebslos und gedrückter Stimmung (depressiv).

In einem karg eingerichteten und von drei farbigen Neonröhren erhellten Raum sitzt eine Frau in einem Sessel, rauchend, über sich und ihre Krankheit sprechend. Schon hier beginnen sich die Wahrnehmungsräume zu vervielfältigen, denn durch Überblendungen visuell dargestellt lösen sich verschiedene personae ihres Ichs und laufen durch den Raum, vorwärts, rückwärts, überlagern sich usw.

Neben diesem "konkreten" Realraum springt der Film in 10 Kapiteln in imaginierte, wahnhafte Räume, in der die Ausgestaltungen der Krankheit visualisiert werden. Diese sind naturgemäß völlig unterschiedlich dargestellt: ein Mann abstrakt schwarz/weiß vor tropische Kulisse im Sand daherrobbend, eine Frau am Kreuz, blutüberströmt, explodierende Blumen und Puppentrick- Animationen, dann ein rattenähnliches Wesen, das von anderen Ratten aufgefressen wird. Dies ist alles enorm stilisiert, künstlich, theatral. Der Film folgt logischerweise keinem Erzählfaden, vielmehr werden Stationen visualisiert, besser: Zustände.

Ein verbindendes Motiv gibt es dennoch: das des "unten Ankommens" und die Angst davor. Einmal wird von einem Brunnen gesprochen. Dieses Bild, bei dem sich der Körper am weitesten von seinem bisherigen, "normalen" Leben abgelöst hat, am weitesten von der Gemeinschaft entfernt ist, steht als Motiv über dem ganzen Film als die endgültige Vernichtung des Ichs. So sind auch die Monologe der kranken Frau (Kartika Jahja) oft nur Gestammel, das nur in einem sehr hermetischen Kosmos sinnstiftend sein mag. Der Zuschauer jedoch verliert bereits nach kürzester Zeit den Zugang und steht draußen vor der Tür. Wohl wie im wirklichen Leben.

Es offenbart sich dadurch eine Machtlosigkeit gegenüber dem Film, der auf seine Weise unangreifbar wird. Ein Film, der laut Selbstaussage des Regisseurs (Jahrgang 1980) auf eigenen Erfahrungen beruht. Dass er am Ende einen positiven Ausblick anbietet, ist ihm hoch anzurechnen. Anknüpfungspunkte für den Zuschauer sind jedoch wenige vorhanden und so fällt es nicht nur schwer, bei der Sache zu bleiben, sich auf die Thematik einzulassen, sondern ebenso den künstlerischen Aspekt wert zu schätzen. Es ist eben eine sehr private Hölle, die da gezeigt wird, und deren ausgestaltete Notwendigkeit dürfte vor allem im Subjektiven verankert sein: "my intention was to go inside the head of a bipolar person and give a tour inside".

Für den Zuschauer aber ist der Film erstmal ein abstraktes Kunstobjekt, aus wessen Geist auch immer. Es ist sicher löblich, dass Agustas Film keine kitschigen Abziehbilder liefert für ein falsches und sowieso völlig problematisches Mitgefühl - er ist möglicherweise dergestalt sogar am Ehrlichsten: in der Transponierung der Erfahrungen auf eine andere, mediale Wirklichkeitsebene. Das ist stets interessant, aber zugleich enorm anstrengend und leider auch unendlich langweilig.

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