Direkt zum Hauptbereich

I Corrupt All Cops / Gam chin dai gwok (Wong Jing, Hongkong 2009)


Hongkong in den 70ern: Korruption und Schmiergeldzahlungen haben überhand genommen und ein normales, geregeltes Leben ist in der Kronkolonie kaum mehr möglich. Da entscheidet der Gouverneur, die unabhängige Polizeieinheit ICAC ins Leben zu rufen und mit dieser kräftig aufzuräumen. Dass das vor allem den eigenen Polizeiapparat betrifft, macht die Sache recht brisant. Einer der Beamten ist der junge Bong (Alex Fong), der als Jugendlicher von eben jenen Polizisten schwer zusammengeschlagen worden war (um von ihm als Unschuldigen ein Geständnis zu erpressen), gegen die es nun geht. Dieser Mann will Rache.

Rechts außen steht Wong Jing selbst,
der im Film als stets lächelnder Mittelsmann
sein eigenes dunkles Spiel treibt.

Kopf der korrupten Vereinigung ist Chief Constable Lak (Tony Leung), der mit seinem brutalen Handlanger Unicorn (Anthony Wong) und dem erpressbaren Gale (Eason Chen) eine schlagkräftige Truppe aufgebaut hat, die so mächtig geworden ist, dass man ihn von einem Unterweltboss nicht mehr unterscheiden kann.

Boss Lak, abgewandt, raucht sitzend Zigarre. Auch wenn gerade
der britische Inspektor den Raum betritt.
Subtile Machtdemonstration eines Paten in HK.

Wong Jing historisches Polizeiepos im Hongkong der 70er ist wie aus der Zeit gefallen: zwar werden uns dank des Off-Erzählers immer wieder die historischen Rahmenbedingungen nahe gebracht, im Filmbild selbst lässt sich das jedoch kaum verifizieren. I CORRUPT ALL COPS sieht aus wie ein hypermoderner stylisher Thriller, dem es an nichts gefehlt hat. Auch dass die Korruption zu Zeiten der britischen Regierung so ausnahmslos wucherte, dürfte der Regierung in Peking kein Dorn im Auge gewesen sein.

Aber eigentlich ist das alles auch recht egal, denn der Film bietet große fiese Schauspieler, schöne Frauen vor fantastischen Hintergründen, Action, Sex und Gewalt. Eine Geschichte zu erzählen, daran hapert es allerdings gewaltig, verkümmert doch der eigentliche Plot um den geprügelten Bong recht schnell zur Nebensache, die nur am Ende wieder partiell aufgenommen wird. Die Darstellung der Polizei-Gangsterwelt ist es, die hier im Mittelpunkt steht. Nur tritt hier alles merkwürdig auf der Stelle. Der Film gleicht einer Bestandsaufnahme, die sich nirgendwo hin entwickelt. Erst als die ICAC auftaucht, geraten die Jungs unter Druck. Doch die Arbeit der ICAC wird überhaupt nirgends genauer dargestellt - sie stehen eben plötzlich mit ihren Ausweisen in der Tür und sagen so Sachen wie: "Sie sind verhaftet!" und schauen ernst drein. Nun ja, da es sowieso kaum sympathische Figuren im Film gibt (außer Gale, der eigentlich ein "Guter" ist), bleibt man der Sache recht distanziert gegenüber. Die Photographie ist makellos, dabei völlig unpersönlich und somit uncharakteristisch. Eine Atmosphäre kann nicht aufgebaut werden. Der herausragendste Moment des Films ist vielleicht derjenige, in dem Gale von einer Geliebten, die selbst der Unterwelt angehört, gesagt bekommt, sie würde ihn verlassen. Sie habe ihn als Polizisten nur deshalb zum Freund gewählt, damit sie unantastbar bleibt. Hier gibt es bestes Hongkong-Pathos zu bestaunen, toll inszeniert und mit der entsprechenden Musik unterfüttert. I CORRUPT ALL COPS ist ein leidlich unterhaltsamer Film, den man schnell vergessen haben wird, da er überhaupt nichts Eigenständiges zu bieten hat. Schade.

Wong Jing selbst sieht das sicherlich anders, seine Filme wurden jedoch in der letzten Dekade nicht gerade mit Lob überschüttet. In einem Interview im TIME OUT HONG KONG ließ er, der sich durchaus auch mit frauenfeindlichen Sprüchen profiliert, deshalb verlautbaren:

Only rubbish people would call my movies rubbish. What qualifies them to have an opinion? Critics are not God, and it’s not for them to judge what’s good or bad; the audience should decide. It’s easy for anyone to use a pen to dismiss others. If I was to pick up my pen, they would lose 99 per cent of the time. I’ve never, ever heard a member of the audience call my movies rubbish.

Ich denke, das steht für sich selbst.

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Eighteen Years, to the Sea / 十八歳、海へ (Toshiya Fujita, Japan 1979)

 Toshiya Fujita (Regisseur von z.B. den LADY SNOWBLOOD-Filmen oder STRAY CAT ROCK: WILD JUMBO ) liefert hier einen typischen japanischen End-70er-Jahre Genrebeitrag ab, in dem sich "Junge Wilde" in ihrem ganzen übersatten Ennui dermaßen anöden, dass sie auch mal dieses Ding mit dem Doppel-Liebestod ausprobieren wollen. Existenziellere Nöte gibt es kaum, sie sind sogar in ihrer Abschlußklasse ganz vorne auf der Liste. Die Eltern haben alle Geld, aber man kann es sich leisten, es nicht annehmen zu wollen.  Also geht man in Kamakura ins Meer, legt sich mit einer Bikergang an, nimmt Schlaftabletten (aber immer nur eine) und erhängt sich zum Spaß mit einem Seil, das schon ganz verrottet ist und auf jeden Fall reißt.  Ansonsten gibt es viel unbeholfenen Sex, der schnell in Gewalt ausartet, einmal auch in eine (fürs Genre obligatorische) Vergewaltigung, an deren Ende das Opfer den Täter sogar noch bittet, sich zukünftig um die Schwester zu kümmern.  Es ist alles wunderbar a...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...