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Street Mobster / Gendai Yakuza: Hito-kiri Yota (Kinji Fukasaku, Japan 1972)


Kinji Fukasakus Gangsterfilmerzählungen der 60er- und 70er-Jahre werden zumeist als jitsuroku-eiga bezeichnet. Filme, die in einem dokumentarischen Stil gehalten sind, Filme mit wildem Schnitt und häßlichen Alltagsbildern, denen jede Tendenz zur genußhaften Epik ausgetrieben wurde. Hier geht es sehr roh zur Sache und Stilisierungen werden nur in der Ausstellung von Freeze Frames und Zeitlupen geduldet. Und in übergroßen Sonnenbrillen und schicken Anzügen.

Im Gegensatz zu amerikanischen Gangsterhelden, die beim Publikum häufig sowohl Faszination, Sympathie und Empathie als auch Abscheu hervorrufen (etwa durch "sympathische" Helden wie Bogart und Edward G. Robinson) und den Zuschauer so in ein moralisches Dilemma stürzen, die einer archetypischen Mythisierung Vorschub leistet, ist Fukasakus Protagonist (Bunta Sugawara) ein Scheusal durch und durch, mit dem man keinerlei Sympathie empfinden kann. Der Mann ist ein Mörder, ein Vergewaltiger und ein Verbrecher, der sich rücksichtslos das nimmt, was er begehrt. So ist es nur konsequent, dass Fukasaku, der in dieser Geschichte den Protagonisten aus dem Gefängnis kommen lässt in eine Welt, die sich verändert hat und die ihm neu ist, eine, die sich aus den Ruinen des verlorenen Krieges heraus neu organisiert hat - und in der dieser Mann nicht mehr zurechtkommt.

Wer nun glaubt, einen melancholischen Abgesang auf einen Außenseiterhelden vorzufinden, täuscht sich. Okita ist ein rabiater, alle sozialen Übereinkünfte ignorierender Amokläufer, der sich mit seiner kleinen Schar Anhänger in der Kleinstadt Kawazaki einen "Turf" erarbeiten will und dabei zwangsläufig den herrschenden Verhältnissen in die Quere kommt. Dass jeder Art Umarmung, selbst von seiten der Unterwelt, für ihn nichts ist - auch wenn er so sogar zu seinem Gebiet kommt und in relativer Prosperität zu Leben vermag - kann dennoch nichts an seiner prinzipiell anarchischen Disposition ändern. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder mit allen überwirft und sehenden Auges in seinen Untergang geht. Aber wer in solch unbeirrbarer Konsequenz lebt, hat keine Spielräume. Dass er seine Kompagnons mit in den Tod reisst, ist ihm hierbei selbstfreilich wurscht. Die Kaltheit seines Herzens wird außerdem an einer pervertierten Liebesgeschichte exemplifiziert, in der er sich eine Prostituierte kommen lässt, die ihn als den Mann erkennt, der sie damals erst entführt und dann vergewaltigt, schließlich an ein Bordell verkauft hat. Seine einzige Reaktion angesichts der am Boden zerstörten Frau ist ein knappes "Na und?", bevor er erneut über sie herfällt.

STREET MOBSTER ist ein rohes Stück Fleisch. Hart, ruppig, laut, grausam. Und stellt den Zuschauer vor die Frage, wie man einen Film mögen soll, in dem nichts angelegt ist, das sich mögen lässt. STREET MOBSTER ist ein Hieb in den Magen und ein Affront auf die Konventionen des Erzählens. Somit reiht er sich in die Filme des Regisseurs ein, die jede Form von Gefälligkeit hinter sich gelassen haben.

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