Direkt zum Hauptbereich

Datai / Abortion (Masao Adachi, Japan 1966)



 Masao Adachis erster Film für die Wakamatsu Productions ist ein in schwarzweiß gehaltener "Skandalfilm", in dem ein Gynäkologe eine die Wissenschaften revolutionierende Technik entwickelt, Kinder auf künstliche Weise vom Fötusalter an in Gebärmaschinen aufzuziehen. So soll den Frauen die Last der Geburt genommen, die Sexualität vom Reproduktionsdruck gelöst werden. In einer Art Parodie auf die Aufklärungsfilme der Zeit wird in immer wieder pseudodokumentarischer Weise auf die biologischen Prozesse bei der Schwangerschaft eingegangen, wozu der Arzt (etwa einer dümmlichen Patientin) Lektionen an medizinischen Schautafeln in seiner Praxis gibt. Oder auch mal Konzepte zur Schwangerschaftsverhütung erläutert.

 Eben jene Patientin, die dummerweise von ihrem debilen und verantwortungslosen Boyfriend schwanger geworden ist, will nun unbedingt das Kind bekommen - der Arzt jedoch betäubt die Frau, schneidet heimlich den Fötus heraus, und führt mit ihm in einem geheimen Labor seine erste echte Untersuchung der revolutionären Idee durch. Die Versuchsanordnung ist geschickterweise in einem Wandschrank versteckt. Der Frau erzählt er, sie habe eine Phantomschwangerschaft gehabt, es sei ihre Psyche, ihr Unterbewußtsein gewesen, das ihr die körperlichen Funktionen einer tatsächlichen Schwangerschaft vorgegaukelt habe. Die junge Frau freut sich überraschenderweise dennoch: nun gut, sagt sie fröhlich, da kann man wohl nichts machen. Doch die Gattin des Arztes beginnt zu zweifeln und steigt schließlich ins Labor ein.

 Adachis Film, der reichlich Potential zur skandalösen Zurschaustellung von körperlichen Aktivitäten bieten würde (einmal wird der Arzt auch von einer Nymphomanin besucht), zeigt von alldem nichts. Das Unzüchtigste ist das freimütige Entkleiden der Patientinnen, sowie das mit größter professioneller Nüchternheit des Arztes vorgenomme Untersuchungsprozedere. Da ist nichts Sexuelles, Schmieriges, Aufgeilendes zu sehen. Allenfalls die Thematik an sich bietet etwas skurrile Unterhaltung - von einem Sexfilm ist ABORTION aber weit entfernt. Am formal Spannendsten sind womöglich die Überschneidungen der Bildkategorien - oftmals weiß man nicht genau, ob man nun fiktive Bilder der filmischen Narration zu sehen bekommt, oder tatsächlich reale, dokumentarische. Jenseits von einem allseits behaupteten, aber nie wirklich überzeugenden Realitätscontent, hat der Film in dieser Hinsicht nichts zu bieten - abgesehen davon, dass Männer mal in das Behandlungszimmer einer solcher Praxis schauen dürfen (das aber eher wie ein umgebauter Büroraum im Office der Wakamatsu Pro aussieht).

 So finde ich den gesamten Film etwas enttäuschend, inhaltlich amüsant zwar, auf der Bildebene aber letztlich ziemlich ambitionslos. Kein Vergleich zu den visuellen Stilisierungen der Filme Koji Wakamatsus, der hier übrigens als Co-Regisseur angeführt wird in den Credits. Sicherlich nur eine Behauptung, um den Film besser verkmarkten zu können. Adachi war zu jener Zeit einer der führenden Köpfe der tokioter Experimental-Szene, die sich aus der Studentenbewegung heraus entwickelt hatte (der auch Yoko "Fluxus" Ono, Nobuhiko Obayashi und Donald Richie angehörten). Ihr Protest hatte sich zuächst gegen das japanisch-amerikanische Sicherheitsabkommen gerichtet und hat sich unter einigen Aktiven sowohl zu einer Avantgardekunstbewegung, als auch zu einem experimentellen Filmclub entwickelt (begleitend empfehle ich die Betrachtung von Yasuzo Masumuras A FALSE STUDENT, 1960). Bevor bei Adachi eine immer stärker werdende politische Radikalisierung einsetzte, in deren Folge Adachi - ich verkürze stark - in Beirut im Libanon landete und dort die Nihon Sekigun gründete, einen Ableger der Japanischen Roten Armee, und daraufhin 25 Jahre im Untergrund lebte.

 Mitte der 60er aber war Adachi parallel der Wakamatsu Pro beigetreten und war einer der wichtigsten Mitarbeiter - vor allem in seiner Funktion als Drehbuchschreiber - für Kôji Wakamatsu. ABORTION darf man wohl als "kommerziellen" Film werten (Roland Domenig), dem darauf eine Fortsetzung folgte mit dem Titel BIRTH CONTROL REVOLUTION (ebenfalls 1966). Der Gynäkologe scheint also doch noch Erfolg zu haben mit seinen Experimenten, auch wenn er am Ende von ABORTION in der Gefängniszelle sitzt.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Eighteen Years, to the Sea / 十八歳、海へ (Toshiya Fujita, Japan 1979)

 Toshiya Fujita (Regisseur von z.B. den LADY SNOWBLOOD-Filmen oder STRAY CAT ROCK: WILD JUMBO ) liefert hier einen typischen japanischen End-70er-Jahre Genrebeitrag ab, in dem sich "Junge Wilde" in ihrem ganzen übersatten Ennui dermaßen anöden, dass sie auch mal dieses Ding mit dem Doppel-Liebestod ausprobieren wollen. Existenziellere Nöte gibt es kaum, sie sind sogar in ihrer Abschlußklasse ganz vorne auf der Liste. Die Eltern haben alle Geld, aber man kann es sich leisten, es nicht annehmen zu wollen.  Also geht man in Kamakura ins Meer, legt sich mit einer Bikergang an, nimmt Schlaftabletten (aber immer nur eine) und erhängt sich zum Spaß mit einem Seil, das schon ganz verrottet ist und auf jeden Fall reißt.  Ansonsten gibt es viel unbeholfenen Sex, der schnell in Gewalt ausartet, einmal auch in eine (fürs Genre obligatorische) Vergewaltigung, an deren Ende das Opfer den Täter sogar noch bittet, sich zukünftig um die Schwester zu kümmern.  Es ist alles wunderbar a...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...