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Meine Brüder und Schwestern im Norden (Cho Sung-hyung, Deutschland/Nordkorea 2016)



 Ist es nicht furchtbar öde, sich immer wieder in seinen eigenen Vorurteilen bestätigen zu lassen? Und gerade das – übrigens nur scheinbar – hermetisch abgeriegelte Nordkorea ist ein Paradebeispiel für die Mechanismen der westlichen Meinungsmachermaschinerie, die Böseste aller Nationen und das bedrohlichste aller politischen Systeme immer wieder aufs Neue mit denselben Bildern zu skandalisieren und vorzuführen. Militär-Paraden, herausgeputzte Panzer, im Gleichschritt marschierende Soldaten und Soldatinnen, leere Supermarkt-Regale, Hungersnöte, das graue Pjöngjang. Nordkorea – das Land, in dem niemand lächelt. Vor dieser Folie kann man sich selbst ganz wunderbar als Fackelträger der Freiheit inszenieren und, das ist auch klar, da erscheint die eigene korrupte Gesellschaft ganz wie von selbst als das Paradies auf Erden. Der Mensch glaubt eben, was er glauben will. Und sollten es noch so ausgelutschte Klischees und Stereotypen sein. Sollte man ihm diese Freiheit nehmen?

Als Dokumentaristin hat sich die gebürtige Südkoreanerin und deutsche Staatsbürgerin Cho Sung-hyung schon längst einen Namen gemacht: Filme wie Full Metal Village (über das Heavy Metal-Festival in Wacken), 11 Freundinnen („Durch den DFB habe ich gelernt, wie ein totalitäres System funktioniert“) und den sehr humorvoll-zärtlichen Endstation der Sehnsüchte (über ein „deutsches Dorf“ in Südkorea) belegen eindrucksvoll ihr Interesse für gesellschaftliche Mikrokosmen, die sich eher unbemerkt entwickelt haben und die sich an der Peripherie aufhalten. Das Schöne dabei: das Dargestellte steht für sich selbst. Die Regisseurin erhebt sich nicht über die Bilder, stellt nichts aus. Wenn sich etwas entlarvt, dann entlarvt es sich selbst. Sie schreibt einem nicht vor, wie man etwas zu interpretieren hat. Und so wird auch in diesem Film nichts beschönigt oder verdammt. Es wird thematisiert, wie schwierig es war, überhaupt ins Land einzureisen. Es wird immer wieder gezeigt, wie sehr sich die Menschen für ihr Land aufopfern und für ihren Führer Kim Jong Un. Wie sehr sie in Systemen drinstecken, wie etwa die Näherinnen in der Kleiderfabrik in Wonsan. Was für eine große Rolle das Militär in diesem Lande spielt. Aber es wird eben auch gezeigt: fußballspielende Kinder; lachende Schüler; interaktiver Englischunterricht; Bauern, die ihren Strom durch Solarzellen gewinnen; Badegäste in einem Vergnügungspark; gedeckte Tische; Interesse am Ausland; Sonne; Himmel; Farben; idyllische Natur; lachende Menschen beim Selfie-Schießen in schönen Landschaften; der grüne Rasen von Pjöngjang.

Man bekommt ein Nordkorea zu Gesicht, wie es von westlichen Medien offenbar nur allzugerne ausgespart wird. Und man bekommt Geschichten erzählt, die man sonst niemals zu hören bekommt. Etwa von einer junge Frau, die  Mode-Designerin werden will, oder wie ein Künstler mit seinen Gemälden zu großem Reichtum gekommen sei. Man sieht ihm schon von weitem an, dass er schwindelt, aber er möchte wohl die Regisseurin beeindrucken. Alles ganz menschlich, also. Man merkt aber auch, wie bescheiden und zurückhaltend die Menschen jenseits der Joint Security Area zu sein scheinen. Da können einem schon ein wenig die Augen feucht werden, wenn eine Großmutter die Regisseurin darum bittet, die Wiedervereinigung voranzutreiben, damit man endlich den Leichnam des Großvaters aus dem Süden des Landes in den Norden holen könne. Man hat jedenfalls nicht den Eindruck, dass hier irgendwer weg will. Wer hätte das gedacht?

Michael Schleeh


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