Direkt zum Hauptbereich

Stray Dog / Nora Inu (Akira Kurosawa, Japan 1949)

Während einer äußerst heißen Hitzewelle ist der Polizist Murakami (Toshiro Mifune) auf der Jagd nach seiner Waffe, die ihm in einem vollgepackten Bus geklaut wurde. Der ältere und wesentlich erfahrenere Kommissar Sato (Takashi Shimura) nimmt ihn dabei unter seine Fittiche.

Wieder sind es die Lehrjahre des Protagonisten, die im Fokus dieser filmischen Éducation liegen. Wieder gibt es einen Lehrer, der den jungen Wilden, moralisch Redlichen zu bändigen und zu zähmen hat. Denn Murakami nimmt die Sache mit dem Diebstahl ernst, beinah zu ernst. Was in anderen Kulturen einfach als dummer Zwischenfall abgetan würde, oder mindestens als Unglück, für das er letztlich nichts kann, so ist dies hier ganz und gar nicht der Fall: Murakami fühlt sich für den Verlust moralisch verantwortlich und möchte die Scharte dieser "Schande" wieder ausgleichen. Demnach fühlt er sich auch für all die Untaten verantwortlich, die mit seiner Waffe begangen werden. Als dann auch noch ein Mord geschieht, steht er kurz vor der Raserei. Murakami rennt. Und schwitzt.

Die Hitze ist das eigentliche Motiv des Films. Unter dem Brennglas der Sonne kochen die Leidenschaften hoch, liegt man erschlagen am Boden. Wie der Hund in der berühmten Anfangsszene hechelnd am Boden liegt. Wie alle permanent schwitzen und sich mit kleinen Läppchen abtrocknen. Wie es den Schweiß auf Murakamis Rücken durch den weißen Anzug hindurchdrückt. Oder wie die Tänzerinnen des Clubs auf den Boden kollabieren und der Schweiß auf der Stirn steht, die Arme hinab läuft, aus Achselhöhlen rinnt. Bevor alles in einem beinah tropischen Platzregen hinweggeschwemmt wird. Kurosawaws Neigung zum Symbol der extremen Wetterbedingungen ist also auch in diesem Film überdeutlich.

NORA INU ist ein technischer Film. Die Schnitte und die Montage, die Blenden und plötzlichen Close-Ups, die statische Kamera auf das sich plötzlich öffnende Feld, die Wiesen am Stadtrand und darauf das hektische Gewusel in den Seitenstraßen, das Eingequetschtsein der Kamera in der Enge des Busses - das gibt dem Film eine starke visuelle Eindrücklichkeit. Doch leider kommt die emotionale Involvierung etwas kurz. Die Figuren bleiben relativ distanziert, im zweiten Drittel bricht der Film etwas ein, bevor er sich zum Finale nochmal aufschwingt. Definitiv ein Pflichtfilm.


[Screenshots gibt es diesmal keine - Bilder werden zu diesem Film nicht gespoilert. Darf man alles selbst entdecken...]

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m