Direkt zum Hauptbereich

Thirst / Bakwi (Park Chan-wook, Südkorea 2009)



Als sich der selbstlose katholische Priester Sang-hyeon (Song Kang-ho) freiwillig zur Verfügung stellt, in Afrika an medizinischen Experimenten teilzunehmen um ein Gegenmittel zu einem seltenen Virus zu finden, da ist er der einzige von 500 Probanden, der die sich durch heftige Bläschenbildung auf der Haut ankündigende Krankheit überlebt. Sang-hyeon ist – durch die Verabreichung lebensrettender Blutkonserven – ein Vampir geworden, der durch die Einnahme von Blut das Virus zurückzudrängen vermag, dafür aber nun mit den üblichen Vor- und Nachteilen des Vampirdaseins zu kämpfen hat. Ein Problem für ihn, da er als Mann Gottes eigentlich nach Afrika gereist war, um der Menschheit zu helfen, und dumm auch, dass er, zurück in Korea, sich in die Ziehtochter Tae-ju (Kim Ok-vin) einer Schneiderin verliebt, welche mit ihm aus ihrer eigenen geknechteten Existenz zu fliehen sucht...

Fortan versucht er sein Vampirdasein zu leben ohne seine sakrosankten Prinzipien zu verletzen: quasi als Parasit zapft er regelmäßig per Kanüle todkranke Patienten an, hilft Selbstmordkandidaten bei der Erfüllung ihrer Wünsche und überlegt sogar, ob er sich nicht Blut im Internet bestellen könnte. Der Handlungsraum des Filmes verlagert sich nun fast vollkommen in die dunkle Wohnung der Ladenbetreiber, die von einer diktatorischen Mutter, deren krebskrankem Sohn und seiner Frau, eben besagter Ziehtochter, bewohnt wird. Die Liebeskonstellation, die in die Beseitigung des verhassten Ehemanns münden soll, läßt ein Anliegen Park Chan-wooks deutlich werden: THIRST ist zugleich Verfilmung und Update von Émile Zolas Roman Thérèse Raquin, in welchem ebenfalls eine Ausgebeutete aus beklemmenden Verhältnissen mittels einer Affäre zu entkommen sucht.

Dies wird auch auf formaler Ebene bildsprachlich umgesetzt: das erdrückende Ambiente der dunklen Wohnung wird durch Perspektivierungen gestaffelter Raumverhältnisse in der Kamerakadrierung verstärkt: das Geschehen im Vordergrund wird von einem Ereignis im Mittelgrund (etwa in Fluchtperspektive im Flur) abgelöst und schließlich folgt durch leichte Verstärkung der Tiefenschärfe ein weiteres Ereignis im Hintergrund (etwa dem hintersten Raum der Wohnung) nach. Die Wohnung mit ihren scheinbar unzähligen, kleinen Seitenzimmern, Fluren, Treppen und Winkeln gleicht in ihrer Unübersichtlichkeit den verschlungenen Pfaden des Plots, denn dieser wird fortan noch einige Haken schlagen, um den Zuschauer bei Laune zu halten. Und ganz im Gegensatz zu vielen Besprechungen, die dem Film lediglich Mittelmäßigkeit zugesprochen haben, kann man ebensogut die Komplexität und Verwobenheit der inhaltlichen Aspekte und Motivketten betonen (etwa das Thema der Darstellung der körperlichen Sexualität im Vampirfilm, die Mann- und Frauwerdung der Protagonisten, die Verwendung der deutlich humoristischen Szenen, die HIV-Thematik, das Verhältnis von Film und Literatur,...). Gleichwohl gibt es die eine oder andere lose Seitenerzählung, um deren Straffung es nicht schade gewesen wäre, wenn man die doch recht üppige Gesamtspielzeit (in der bereits gekürzten Version) von über zwei Stunden berücksichtigt. Gleichwohl könnten eben jene lose Fäden ein Opfer der Kürzungsbestrebungen sein, die in einer noch längeren Fassung potentiell sinnhaft und strukturell geglückt erscheinen könnten.

So ist THIRST vor allem ein ungewöhnlicher Vampirfilm geworden, ein unbequemer noch dazu, der einem erstmal jedes Saug- und Schmatzgeräusch für längere Zeit verleiden dürfte; man sollte dem Film mehr als nur eine Sichtung gönnen, um den verschlungenen Texturen des Stoffes nachspüren zu können; um dann dabei auch der famos zurückhaltenden Audiospur sein Ohr zu leihen, die so ganz anders funktioniert, als das alltägliche Rauschen, das man aus Hollywood gewohnt ist. Ein Film also, in dem es viel zu entdecken gibt: THIRST ist wunderbar komplex und souverän geworden.

***

THIRST kaufen: [Blu-ray]

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra...