Der Film beginnt wie ein jazziges Requiem: zu sowohl swingender wie melancholischer Musik läuft die Kamera (wie der Protagonist) durch die Straßen Shinjukus und überall liegen Leichen oder schwerverletzte Jugendliche herum. Ein Gefühl von Vergeblichkeit und Hoffnungslosigkeitg, von Entsetzen macht sich breit. In einem amerikanischen Film wäre das nun die Ausgangslage, und in einem Rückblick würde man sehen, wie es zu diesem Desaster gekommen ist. Nicht so bei Wakamatsu, der von seinen Zuschauern zu wissen erwarten kann, dass man es hier mit den Aufständen der Studenten zu tun hat, die Mitte und Ende der 60er gegen den Staat und das Militär die Stimme und auch ihre Fäuste erhoben, eine Gemeinschaft der Revolte, mit Splittergruppen der Japanischen Roten Armee, oder sonst einer radikalisierten linken Zelle. Vielleicht waren es aber auch nur Künstler oder Hippies, die hier ihr Leben lassen mussten.
Vor diesem politischen Hintergrund spielt sich das persönliche Drama eines Vaters ab, dessen Sohn, der in einem Theaterstück auftrat, getötet und die Freundin mehrfach vergewaltigt wurde (die einzige, völlig grotesk brutale Farbsequenz des Films) - freilich ohne dass sich jemand der Sache angenommen hätte. Schon gar nicht die Polizei, die durch extreme Untätig- und Unfähigkeit den Fall verschleppte, und vielleicht sogar andere, heimliche Interessen hatte. In SHINJUKU MAD versucht also nun dieser Vater herauszubekommen, weshalb und durch wessen Hand sein Sohn sterben musste. Und die Spur führt zu einem mysteriösen Radikalen, einem Langhaarigen Freimaurer, einem Mörder: dem Verrückten aus Shinjuku namens "Shinjuku Mad".
Besonders toll an diesem recht zugänglichen Film Wakamatsus, den man vielleicht als ein Thrillerdrama bezeichnen könnte, ist die Tatsache, dass der Spielfilm, natürlich an Originalschauplätzen gedreht, so irre viel Lokalkolorit und "echtes Tokyo" aus den 60ern und 70ern transportiert. Der Mann steigt also "hinab" in die Untergrundszene Tokyos, zur "counterculture", in eine Welt aus Nachtbars, Drogen, Sex und Gewalt ("Shinjuku Mad" also vielleicht auch die Bezeichnung des Zustandes einer Stadt). Wenn er dann endlich Shinjuku Mad gegenübersteht, beleidigt dieser seinen toten Sohn. Dieser sei ein Spitzel gewesen und man habe ihn aus dem Weg räumen müssen - da er "die Revolution" gefährdet habe. Freilich zeigt sich später, dass ebendiese Revolution reichlich selbstzweckhaften Charakter hatte und keineswegs auf irgendein Ziel, eine neue Ordnung hingesteuert hätte. Dass es also letztlich nur um die Allmachtsphantasien eines Einzelnen, Verrückten handelte.
SHINJUKU MAD ist ein sehr düsterer Film, auch wenn in einer Szene ein Musiker auf einem Kinderspielplatz in endlosen Repetitionen selbstvergessen Hare Krishna mit Gitarre und Gesang huldigt; eine zugedrogte Langhaarige tanzt dazu. Dass sie den Vater überhaupt nicht beachten, der das Photo seines getöteten Sohnes herumzeigt, spricht Bände. Sie sind high, es ist ihnen scheißegal. In der Beton-Krabbelröhre darunter verlustiert sich derweil ein junges Pärchen neben zwei Frauen, die der lesbischen Liebe huldigen. Das könnte alles sehr amüsant sein, wenn es nicht so trist wäre. Der Vater hat bei den jungen Leuten natürlich kein Glück - und Wakamatsu zeichnet mit seinem oft voyeuristischen und deswegen auch gnadenlosen Kamerablick ein schwer pessimistisches Bild dieser herumdriftenden Jugend. Der linksradikale Masao Adachi hatte das Drehbuch beigesteuert - ich bin mir nicht sicher, ob er sich bewußt war, dass dieser Film der damaligen Jugend eine derartige Bankrotterklärung ausstellen würde.
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