Was an Anurag Kashyaps Serienkiller-Thriller Psycho Raman (aka. Raman Raghav 2.0)
zuerst auffällt, ist der harte Gegensatz der Eröffnungsszene in der
Diskothek mit der darauffolgenden Stille, in der man zum ersten Mal dem
Killer Raman (Nawazuddin Siddiqui) begegnet: während der Polizist
Raghavan (Vicky Kaushal) ein Gefangener der Beats und der Drogen ist,
die er eingeworfen hat, ist Raman in einem Zimmer eines Abbruchhauses
vor den Toren Mumbais eingesperrt. Dort spricht er mit sich selbst mit
wehleidiger Stimme, was ihm Schlimmes widerfahren sei. Er probt das
richtiggehend, wie ein Schauspieler. Dann ruft er ein paar Jugendliche
um Hilfe herbei, die dort gerade Cricket spielen wollten. Sein Vortrag
ist so überzeugend, dass sie ihn gleich befreien. Raman darauf, mit
einem leisen Lächeln im Gesicht, ausgezehrt und mit schwarzen
Augenrändern, streunt durch das Gelände, eine wilde Brache voller wilder
Pflanzen umgeben von Ruinen – es ist beinah eine Idylle, eine Idylle
des Verfalls. Dort sieht er plötzlich eine schwarze Katze, und weil er
die interessant findet, folgt er ihr. Sie führt ihn zu einem Gehöft am
äußeren Rand einer Slum-Behausung, wo gerade eine junge Frau Brot backt.
Raman will nun dieses Brot, und man sieht ihm an, dass der Wahnsinnige
auch die Frau dafür totschlagen wird, um an ein Brot zu kommen. Zufällig
findet er einen Stein, der als Mordwerkzeug dienen soll. Die Katze
interessiert nicht mehr. Doch als er die Frau beinahe erreicht, erkennt
man hinter dem nächsten Eck eine Gruppe junger Männer sitzen, die zur
Frau gehören. Raman steht da, der zerrissene Lump, lässt den Stein
fallen. Er schwitzt. Die Männer kommen auf ihn zu.
Man sieht, wie hier eins zum anderen kommt, ungeplant und kontingent.
Das Böse, in Form dieses undurchschaubaren Menschen, der freundlich
Lächeln kann und mit Sprache manipuliert, wird zur Inkarnation der
Todes, wenn er nicht seinen Willen bekommt („Sein Wille geschehe!“).
Spiegelbildlich zu seiner Figur ist der versteinerte drogenabhängige
Polizeikommissar Raghavan ebenfalls einer, der seine Umgebung für seine
Zwecke missbraucht. Was besonders im Ungang mit seiner Freundin
augenfällig wird, die er emotional und sexuell ausbeutet. Sie scheint
aber erst jetzt zu realisieren, dass ihre Beziehung nur auf einem
Gewaltgefälle bestehen kann, denn sobald sie die Stimme erhebt, wird sie
kleingemacht. Der Film erzählt nun eigentlich den bekannten Genre-Topos
erneut aus, wie sich die Konstitutionen der beiden Männer nicht nur
gegenseitig bedingen, sondern auch brauchen. Es ist beinahe wie in einer
grotesken intimen Beziehung – Raman sucht Raghav, und wie sie
zueinander finden, wird Raghav zu Raman. Das zeigt sehr schön der
allerletzte Mord des Filmes, den Raman gar nicht mehr selbst ausführen
muss. Nawazuddin Siddiqui, der intelligentere der beiden, lenkt die
Geschehnisse selbst dann noch, wenn er eingesperrt in einer Zelle hockt.
Psycho Raman als Psycho-Thriller ist somit eher kein Film, der die Kategorien Gut und Böse
vertauscht, vielmehr ist es eine vollständige Aufhebung der Kategorien
in der Darstellung eines gnadenlosen Nihilismus. Der Film, obwohl er
durchaus auch am Tag spielt, ist überwiegend dunkel, düster, bedrückend.
Ein soziales Anliegen hat er nicht. Hier geht es nicht um den Ausbruch
aus dem Käfig der Armut, um die Benachteiligung der Frau, um eine
Liebesgeschichte. Oder gar um Moral. Die Verbrechen werden nicht
kommentiert, sondern stehen, so erschütternd sie sind, für sich selbst.
Dadurch gewinnt der Film eine Offenheit in der Narration, die
wirkmächtiger ist, als jeder Kommentar des Regisseurs. Viel eher ist es
das Verhältnis von Raman zu Raghav, eine Homo-Erotik der Gewalt, in der
die beiden Parteien sich mythisch zueinander hingezogen fühlen, ohne
sich und für lange Zeit gar nicht erst zu begegnen. Wer also der
eigentlichere, verkommenere Bösewicht in diesem Film ist, lässt sich gar
nicht so richtig ausmachen. Skrupellose Mörder sind sie alle beide.
Psycho Raman ist ein äußerst kompakter und durchkomponierter
Film, und zeigt Anurag Kashyap von einer ganz anderen Seite, als bei
seinem ausufernd epischen Film GANGS OF WASSEYPUR. Der Film ist bei
Rapid Eye Movies als DVD und Blu-ray erschienen. Das Bild der Blu-ray
ist exzellent, ein einziger Genuss. Neben dem Hindi-Originalton mit
Untertiteln findet sich eine deutsche Synchronisation auf der Scheibe,
wie auch die üblichen goodies (ein Making Of, knapp 30 Minuten, sowie
der Original-Trailer, weitere VÖs des Labels u.ä.). Wer diesen
cineastischen Höhepunkt des anderen Bollywoods noch nicht kennt, sollte bedenkenlos zugreifen.
Michael Schleeh
***
Psycho Raman ist bei Rapid Eye Movies als DVD und Blu-ray erschienen
und via amazon erhältlich ~
***