Das ungute Gefühl, vom Regisseur an der Nase herum geführt zu werden, das kann man bei Filmen mit Twists sehr schnell bekommen. Wenn sich nun einer, der dafür bekannt ist, jeden Millimeter seiner filmischen Erzählung genau zu vermessen wie eine architektonische Zeichnung, dann wundert es nicht, dass sich dieser Mann einen Roman wie Sarah Waters' The Handmaiden zur Vorlage seines neuesten Filmes nimmt. Der Roman, der im viktorianischen London des 19. Jahrhunderts spielt (und dann auf einem Landgut draußen im Themsetal) wird von Park ins Korea des 20. Jahrhunderts versetzt, in eine Zeit in den 30ern, in der die japanischen Truppen sich im Land breit gemacht haben. Offensichtlichste Referenz ist das Gebäude, in dem The Handmaiden dann erstmal die erste Filmhälfte über spielt. Das Haupthaus ist ein westliches Herrschaftsgebäude, das durchaus auch in Europa stehen könnte oder in den Hammer Studios, die Anbauten aber sind koreanischer und japanischer Art. Besonders auffällig wird das in den Kameraschwenks, wenn die Personen von einem Trakt in den anderen laufen, und dabei wie von einer Welt in die andere gelangen. Innerhalb des Gebäudes funktioniert das genauso, etwa wenn sich die Charaktere in die Bibliothek begeben, wo die lüsternen Herren sich die Erotika der Weltliteratur kredenzen lassen. Und auch genau darum geht es in diesem Film Parks - mal nicht (nur) um Gewalt, sondern vor allem um Leidenschaft.
Als Sook-hee (Kim Tae-ri), die dann bald Tamako heißen wird, ihre neue Dienststelle antritt, da weiß ihre neue Herrin Lady Hideko (Kim Min-hee) noch nicht, dass ihr übel mitgespielt werden soll. Ihre neue Zofe nämlich steckt unter einer Decke mit dem teuflischen Edelmann Count Fujiwara (Ha Jung-woo), der sie beabsichtigt, zu heiraten. Aber nicht aus Liebe, er interessiert sich vor allem für ihre Erbschaft. Für sie ist aber auch was drin, in diesem Deal: nämlich rauszukommen aus dieser pseudo-ästhethisierten Hölle der Schlüpfrigkeiten, in der sie den alten Männern zum Plaisir die Animierdame geben muss. Und wenn sie nicht spurt, dann bekommt sie vom bösen Onkel auf die Finger. Das Paradies also ist es dort - auch wenn es auf den ersten Blick so edel erscheint - nunmal gar nicht. Aber viel weiter darf die Handlung nicht verraten werden, sonst, wie gesagt, wird die Überraschung genommen. Eines aber noch: die beiden jungen Frauen freunden sich nicht nur an, nein, es geht sogar noch einen Schritt weiter. Und das ist dann der Punkt, wo in dieser ganzen, fast schon puppenstubenhaft durchästhetisierten Optik die körperliche Liebe zwischen zwei Frauen visuell zelebriert wird. Ob sich der Film, der den Missbrauch ja eigentlich anprangert, in diesem Moment nicht selbst ad absurdum führt, wäre übrigens auch noch zu klären.
Jedenfalls bricht dann im letzten Drittel Park Chan-wook komplett mit der Buchvorlage - und dichtet sich selbst ein neues Ende hinzu. Und in gewisser Weise macht er genau das, was man sich als Leser des Buches auch gewünscht hat: was wäre eigentlich, wenn sich die beiden Frauen gegen die Männerwelt verschwören würden und nicht in ihren Opferrollen gefangen wären? Aber man sehe selbst, es kommt dann jedenfalls völlig anders, als man zunächst denkt. Und das Finale im mythenumschwebten Folterkeller ist von einer grotesken Absurdität, die den im Film mehrfach angedeuteten Humor auf die Spitze treibt. Allerdings, um auf den Anfang des Textes zurückzukommen, ist es natürlich dann schon so, dass man wieder den Eindruck hat, Park Chan-wook macht hier gerade, worauf er Lust hat. Von Sarah Waters ist nichts mehr übriggeblieben und alleinig die Regie hält die Zügel in der Hand. Das teuflische Spiel, das ist nicht nur das, was Ha Jung-woo im Film passiert - nein, dem ist auch das Kinopublikum ausgeliefert, das in Parks schwarzem Loch, dem Kinosaal, sitzt. Und ihm völlig ausgeliefert ist. Seinem wundervollen Film, seinem autoritären Film, der mit jedem Kameraschwenk weiß, was er tut, der jedes Bild milimetergenau vermisst, der jeden Ton so setzt, dass er maximal effektiv ist. Zum Glück mag Park sein Publikum, denn sonst könnte es uns irgendwann einmal dreckig ergehen.
Michael Schleeh
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