Direkt zum Hauptbereich

Nameless Gangster (Yun Jong-bin, Südkorea 2012)


Containerhafen Busan, Ende der 70er Jahre: der Zollbeamte Choi Ik-hyun (Choi Min-sik) hat es satt, zu darben, als kleiner Fisch zu enden und mit seiner Familie in einer dunklen Bruchbude zu hausen. Kleinere Bestechungsgelder werden also gerne angenommen, Schmuggelwaren wechseln immer wieder den Besitzer. Da entdecken sie in einem Frachtcontainer eine große Ladung Heroin und Choi wittert seine Chance. Er kontaktiert den Gangsterboss Choi Hyung-bae (Ha Jung-woo), der für die Verteilung des Stoffes zuständig sein soll. Aus dieser Kooperation entwickelt sich ein florierendes Gewerbe. Ik-hyun steigt also in Hyung-baes Syndikat ein, und nach einigen Querelen wird er als zweiter Boss von der Bandenmitgliedern mehr oder weniger akzeptiert. Hyung-bae war dabei das Hauptproblem: nicht nur musste er ihn davon überzeugen, dass diese Doppelspitze für das Syndikat wirtschaftlich von Vorteil ist, sondern überhaupt einen Partner neben sich zu haben, scheint für den äußerst vorsichtigen Hyung-bae zunächst undenkbar, weil er niemandem vertraut. Da die beiden aber über mehrere Ecken verwandt sind und Familienbande verläßlicher erscheinen, kann Choi Ik-hyun Choi Hyung-bae schließlich überzeugen. Doch plötzlich erschüttert eine radikale Polizeiaktion gegen das organisierte Verbrechen die busaner Unterwelt, und nun muss sich beweisen, wie gut die Kontakte wirklich sind, die Ik-hyun aufbauen konnte.

NAMELESS GANGSTER erzählt seine Geschichte erstmal in einem großen Rükblick: man wohnt der Verhaftung der Gangster bei und springt dann drei Dekaden zurück in die Vergangenheit - dann wird die Geschichte hinter den Personen aufgerollt. Ein standardisiertes filmisches Stilmittel, das nicht nur den zumeist bemerkenswerten und etablierten Ist-Zustand am Filmbeginn erklären soll, sondern auch den Figuren den Raum gibt, gehaltvoller zu werden: sie füllen sich mit persönlicher Biographie. Und wenn man dann so einen Schauspieler hat wie den großartigen Choi Min-sik, dann machen genau diese Transformationsvorgänge nicht den kleinsten Teil des Reizes dieses Filmes aus. Seine unglaubliche Wandlungsfähigkeit und sensible Figurendarstellung macht NAMELESS GANGSTER letztlich sehenswert, es ist ein Fest, dieser Figur und seinen Fährnissen zuzuschauen. So ist es etwa das große Dilemma Ik-hyuns, dass er seinen Platz im Syndikat nicht wirllich festigen kann. Er ist ein Mann, der nirgends dazugehört. Mit der Aufgabe seines bürgerlichen Brotberufs übertritt er die Schwelle zur Kriminalität - dort aber wird er als Businessmann wahrgenommen, dem der Schneid und die Skrupellosigkeit des Gangsters fehlt. So erklären sich auch immer wieder die Anfeindungen, denen er (sogar aus den eigenen Reihen) ausgesetzt ist, und weshalb er die Unterstützung Hyung-baes mehrfach einfordern muss. Deutlich weniger Raum bekommt das restliche Personal eingeräumt. Naturgemäß steht da Ha Jung-woo an zweiter Stelle (ein Schauspieler, der in den letzten zehn Jahren schwer beschäftigt war, etwa ganz phantastisch in THE YELLOW SEA, der aber auch in THE BERLIN FILE, in Hong Sang-soos wunderbarem LIKE YOU KNOW IT ALL oder Kim Ki-duks BREATH und TIME mitspielte). Ein Charakter, der den ganzen Film über sehr konsistent und konzentriert ist, und dessen Rolle sich nicht wirklich verändert. Er ist leider etwas unterbeschäftigt in diesem Film.

Es ist bei diesen beiden hochkarätigen Schauspielern und dem generell hohen Produktionsstandard der koreanischen Blockbuster-Thriller kein Wunder, dass NAMELESS GANGSTER ein toller Film geworden ist (und auch die Nebenrollen sind sehr gut besetzt). Auch an der Kinokasse war der Film ein Erfolg. Die Kamera hätte für meinen Geschmack etwas wagemutiger sein dürfen, sie hält sich bisweilen arg zurück und kann doch immer wieder kleine Akzente setzen. Das Skript ist verschlungen, aber für "asiatische Verhältnisse" nicht zu unübersichtlich geraten. Es fällt nie schwer, sich in diesem Film zu orientieren. Mit 133 Minuten Lauflänge ist NAMELESS GANGSTER etwas lange geraten, andererseits bekommt der Film gerade dadurch seinen epischen Atem und gibt auch kleineren Plotlines genug Raum, sich zu entwickeln. Die Balance ist hier sehr gut getroffen, vor allem da NAMELESS GANGSTER kein reiner Actionfilm ist: sondern ein sehr solider, sehenswerter Gangsterthriller. Frauen müssen aber leider mal wieder draußen bleiben. Für sie scheint es hier keinen - oder kaum einen - Platz zu geben.

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra...

Two famous female writers from Japan: Yû Miri's 'Tokyo Ueno Station' & Hiromi Kawakami's 'People from my Neighbourhood'

TOKYO UENO STATION is not a straight narrative, but rather a quite experimental novel. As "the plot" unravels in flashbacks - by an obscure, already seemingly dead medium floating around Ueno park, the story of a life of hardship  is slowly being revealed. Of heavy labor, broken families, financial troubles and finally: homelessness. This is not the exotistic Japan you will find on a successful youtuber's channel. The events get illustrated by those of "greater dimensions", like the historical events around Ueno park hill during the Tokugawa period, the Great Kanto earthquake, the fire bombings at the end of WW II or the life of the Emperor. Quite often, Yû Miri uses methods of association, of glueing scraps and bits of pieces together in order to abstractly poetize the narrative flow . There are passages where ideas or narrative structures dominate the text, which only slowly floats back to its central plot. TOKYO UENO STATION is rather complex and surely is n...