Nicht nur, aber gerade in den letzten Jahren hat sich das Filmland Südkorea besonders mit seinen Rache-Thrillern hervorgetan - zumindest was die internationale Wahrnehmung betrifft. AZOOMA ist ein weiterer Vertreter dieser Gattung, einer, der in seiner formalen Struktur, in den verschiedenen Ebenen der korrespondierenden Flashbacks recht kunstvoll verschachtelt ist, und der über diese Verknüpfungen sukzessive die Hintergrundstory aufblättert. Das zentrale Sujet des Filmes ist brisanterweise ein Kindesmißbrauch, genauer: die zehnjährige Tochter Yeon-ju (Lee Jae-hee) der Protagonistin Yoon Young-nam (Theaterdarstellerin Jang Young-nam in ihrer ersten Hauptrolle, die aber auch schon in A WEREWOLF BOY, THE NEIGHBOR oder HINDSIGHT überzeugen konnte) wird eines Tags nach der Schule von einem vorbeikommenden Autofahrer entführt und missbraucht. Schwer traumatisiert überlebt sie die schrecklichen Ereignisse, doch als die Mutter die schleppenden Ermittlungen der Polizei anschieben will, stößt sie auf merkwürdige Hindernisse.
Ihr geschiedener Gatte und Vater des Kindes etwa wiegelt immer wieder genervt ab, er verlustiert sich lieber mit seiner neuen Assistentin und meint, das Kind würde die Sache schon vergessen. Der ermittelnde Inspektor Ma (Ma Dong-seok) hat angeblich zuviel um die Ohren, und sein Telephon klingelt tatsächlich auch die ganze Zeit, als dass er sich in ausreichendem Maße um diesen Fall kümmern könnte. Es dauert eine Ewigkeit, bis einmal eine Psychologin sich des Kindes annehmen darf, zuvor wird sie von den schwer empathielosen Ermittlern zur Sache gelöchert. Oder als Azooma den Täter wiedererkennt und ihn durch die schmutzigen Seitengassen Seouls verfolgt, kommt ihr nicht nur niemand zuhilfe, sondern die eintreffenden Polizisten halten sie für eine durchgedrehte Ziege.
Wie der ironische Titel A FAIR SOCIETY bereits andeutet: fair ist hier gar nichts. Und so geht es dem Film offensichtlich nicht nur um das schmutzige Geschäft eines kleinen Revenge-Thrillers, sondern um mehr. Es geht darum, wie die Gesellschaft unliebsame Ereignisse beiseite schiebt oder unter den Teppich kehrt. So wird an mehreren Stellen thematisiert, dass eine Verhaftung bei solcher Beweislage sowieso nichts bringen würde, dass selbst bei einer Verurteilung der Täter bald wieder frei käme und dergleichen mehr. Vor diesem Hintergrund ist auch das intensive Spiel der Protagonistin zu sehen, die zunehmend hysterischer wird - und damit immer mehr auf sich selbst gestellt ist und zugleich ins Abseits rückt. Mit ihr will bald schon keiner mehr zu tun haben. Anstatt der Ermittlung zu helfen, schadet sie ihr, wenn sie ihr Recht einfordert. Der Begriff Azooma bezeichnet wohl auch nicht nur ein verheiratete, mittelalte Frau, sondern ist pejorativ konnotiert. Der Haupttitel, unter dem der Film firmiert, bezeichnet somit den Blick von außen, wie die Protagonistin von den anderen Figuren gesehen wird.
Der Film gilt als engagierte Kleinproduktion und es ist beachtlich, wie souverän des Debut Lees ausgefallen ist. Aber der Mann ist kein Neuling im Business, er ist einer der Produzenten des Tsunami-Katastrophen-Blockbusters HAEUNDAE. Gleichwie: Sein Ziel verfehlt er dennoch. Denn die eigentliche Rachhandlung, die die letzten zwanzig Minuten einnimmt, ist eine groteske, überdeutliche Gewaltorgie, die in ihrer expliziten Darstellung für einige Magenverstimmungen zum Beispiel beim Internationalen Filmfestival in Busan gesorgt haben dürfte. Wie hier die Kamera draufhält, ist schon sehr, ja, geschmaklos - und das ist besonders enttäuschend, da die potentiell schwierig abzubildenden Missbrauchsszenen des Kindes zuvor dezent gelöst worden waren. Sehr ärgerlich ist das, wenn dann der Film am Ende so draufhaut, und das ohne Mehrwert. Vermutlich hat man hier zynischerweise auf die Marktwirksamkeit des Schocks gesetzt, und damit diesen durchaus ambitionierten Film kaputt gemacht. Schade.
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