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Live Today, Die Tomorrow / Hadaka no Yûkyûsai (Kaneto Shindo, Japan 1970)


Das ist ein Straßenfilm. Dreckig, rauh und rüde. Wo ist Shindos Eleganz? Nirgends. Wie mit Bauklötzen werden hier einzelne Szenen aneinandermontiert, Handlungsabschnitte mit einem Schweißbrenner zu einem Spielfilm zusammengeschmolzen. Geschwitzt wird viel in den heißen Tokyoter Nächten, wenn die jugendlichen Protagonisten aus den Jazzbars taumeln und die Schlägerei mit einem Gaijin bevorsteht, einem hünenhaften schwarzen GI, der die japanischen Buben haushoch überragt. Aber sie wollen das, und Kaneto Shindo macht das hier wie in einem Sun Tribe-Film, sie wollen rasen, und die eigene Vergangenheit vergessen. Blutend legen sie sich zwischen die Beine ihrer Freundinnen, die vom nächtlichen Anschaffen zurückkommen, ausgelaugt und ohne Lächeln. Sie drängen sich auf, das letzte Aufdrängen für diese Nacht, das noch erduldet werden muss, vielleicht kommt ja auch der Spaß zurück. Die Syphilis hält keinen davon ab, sich ein Stück davon zu nehmen, was ihm immer vorenthalten wurde. Manche werden dabei Gangster, manche Tote. Und immer liegt man im eigenen Schweiß.

Ein Schweiß, der die eigene Herkunft vergessen lässt. Der Protagonist nämlich stammt von hoch aus dem Norden, aus Abashiri, dort wo es das berühmte Gefängnis gibt - weiter weg von Japan geht es in Japan eigentlich nicht. Dort wird es im Winter kalt, so kalt, dass die ärmliche Familie zu erfrieren droht, und freilich: zu verhungern. Sie haben zu viele Kinder, die kann man nicht alle durchbringen, und der Vater taugt sowieso nichts. Verschwindet einfach für Tage, Wochen, lässt sie alleine sich durchschlagen, versäuft, verhurt, verspielt das bisschen Geld. Aber die Mutter nimmt ihn immer wieder auf. Als dann gar nichts mehr geht,  da zieht sie in den Süden, zur Apfelernte, und lässt die älteste Tochter zurück mit Michio, dem Protagonisten. Dieser muss mit ansehen, wie sie erst von einem Bauern vergewaltigt wird, da sie etwas Geld leihen soll. Und auf dem Rückweg durch den Wald wird sie von sechs Schulbuben aufgegriffen und niedergerungen, die sich ebenfalls auf sie stürzen. Michio kann nur dabeistehen, er ist noch zu klein um sie zu verteidigen. Als er mit der Schwester zurückkehrt, ist sie bereits wahnsinnig geworden und überreicht der Mutter mit irrem Lachen eine Spielkarte.

Aber eigentlich spielt der Film in Tokyo, dorthin wo die Jungen vom Lande verschachert werden. Aus den ländlichen Gebieten in die Betriebe der großen Städte, dort wo Arbeit, Geld, die Mädchen locken. Das bessere Leben. Diejenigen, die Arbeit haben, rackern sich aber zu Tode. Und die, die immer wieder abhauen, landen in den Amüsiervierteln und in der Halb- und Unterwelt. Michio ist ein Davonrenner, der sich bald in eine kleine Nutte verliebt. Er hat auch eine schwarze Kanone, die er immer dann einsetzt, wenn er in Bedrängnis gerät. Da wird auch mal ein Taxifahrer erschossen, weil man kein Geld hat. Bald landet er in der Zeitung, der durchgedrehte jugendliche Killer. Shindo schneidet Zeitungsschlagzeilen hinein, plötzlich gibt es einen Voice-over, der Film ist ein anderer, semidokumentarisch. Stilbrüche gibt es am laufenden Band. Und dann die tollen Szenen der Zengakuren (die linksradikale studentische Protestbewegung), die ANPO-Proteste auf den Straßen Tokyos. Wahnsinn, wie Shindo das hier filmt. LIVE TODAY, DIE TOMORROW ist ein wilder Film, irgendwo zwischen Oshima und Kurahara. Olaf Möller schreibt, das sei die mittlere Werkphase Shindos, die so düster sei und anders. Wer Shindo nur, so wie ich, von seinen großen bekannten Filmen wie ONIBABA, KURONEKO, CHILDREN OF HIROSHIMA oder NAKED ISLAND her kennt - hier kann man einen ganz anderen Kaneto Shino entdecken.

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