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L'Amant (Ryuichi Hiroki, Japan 2004)


Das stark eingefärbte, koreanische Plakat täuscht etwas darüber hinweg, wie sehr dieser Film entfärbt ist. Ja, geradezu trist anmutet in seinen Grau-Brauntönen, gleich so, als wäre hier immer Herbst und Winter ohne Sonne, Schnee, Eis und alle helleren Flächen, die einem in die Augen blitzen könnten. Die Geschichte, die hier erzäht wird, mag auf den ersten Blick ebenso trist erscheinen. Ist sie aber nicht. Es ist ein Film von Ryuichi Hiroki. Und Hiroki mag seine Frauen, auch wenn sie häufig in sich selbst zurückgezogene Zweiflerinnen sind, und bisweilen einen Hang zur Selbstzerstörung haben.

Was auf den ersten Blick wie eine erotische Amour-Fou-Erzählung anmuten mag, die man etwa im Pink-Film, aber auch bei den eher strukturfokussierten Schachbrettfilmen der Franzosen der Nouvelle Vague wie Marguerite Duras oder Alain Robbe-Grillet finden könnte, ist bei Hiroki ein Thema, das in eine ganz eigene Richtung geht. Der eigentliche Erotik-Content, der auf den Bildschirm fließt, ist dann auch beinahe kaum existent und findet fast ausschließlich im Kopf des Zuschauers statt. Und die Erzählung geht also so: ein alternder, sterbender Erotomane wünscht sich auf dem Sterbebett die Erfüllung seiner erotischen Traumvorstellung: drei Männer (hier genannt A, B und C) "mieten" sich für ein ganzes Jahr eine Frau, die ihnen sexuell zur freien Verfügung zu stehen hat. Hier ist es nun eine 17jähriges Schülerin, der sie den Namen Hanako geben und die ihnen ihren richtigen Namen nicht offenbart. Nach der Schule begibt sie in ein mondänes Haus, wo sie auf die drei dort lebenden Männer trifft; sie verbringt dort ihren Alltag mit Hausaufgabenmachen und dergleichen, wie eben auch in der steten Bereitschaft, sexuell für die Herren verfügbar zu sein. Für die drei (auch charakterlich unterschiedlichen) Männer aber interessiert sich der Film nicht, wie auch kaum für die sexuellen Handlungen. L'Amant ist ein Film über das junge Mädchen selbst, das erwachsen wird. Ein coming-of-age-Film also, und so tritt sie auch immer wieder als Erzählerin ihrer eigenen Geschichte in Erscheinung, etwa in Voice-Over-Kommentaren, die von einem weit späteren Zeitpunkt die Geschichte wie in einem Rückblick erzählen.  

Hanako begibt sich freiwillig in diese Situation. Warum, das wird nicht ganz klar. Vermutlich geht es ihr ums Geld, wie sie einmal sagt - dabei lebt sie eigentlich bei ihrer Mutter in gesicherten Verhältnissen - wenn auch die Familie zerrissen scheint, der Vater absent ist und niemals im Film auftaucht. Eine ihrer Schulfreundinnen aber bemerkt ihr merkwürdiges Verhalten schon allein deswegen, weil sie nachmittags keine Zeit mehr hat und sich überall rauszieht. Wie so häufig in Hirokis Filmen hat man es wieder mit einer Protagonistin zu tun, die eine Alleingängerin ist, die aus der Zeit und auch aus der Gesellschaft wie herausgefallen scheint, die irgendwie nur mitläuft ohne groß aufzufallen, hinter der sich aber eine eigene Welt offenbart, die zunächst verborgen ist. Eine mögliche Erklärung für ihr Handeln wäre die, dass sie selbst diese Zeit als eine definiert, die sie - für sich - zum Experiment bestimmt. Ein Jahr lang, so sagt sie einmal selbst, macht sie das. Und mit dem Erreichen des Schulabschlusses ist die Zeit unweigerlich vorbei. So bricht sie auch rigoros die Beziehung zu den Männern ab, als das Jahr vorüber ist, auch wenn sich mittlerweile persönliche Zuneigung und Gefühle entwickelt hatten. Keinesfalls darf man sich vorstellen, dass Hiroki seine Hanako in einer Opferrolle inszenieren würde. Vielmehr wächst sie zu einer souveränen Frau heran. Das japanische Kino hält sich eben nicht immer an die gängigen Moralvorstellungen unserer Gesellschaft.

Produziert wurde der Film vom Spiele-, Film- und Musikkonzern Happinet Pictures, und dafür, dass er zugleich eine Manga-Adaption ist, wirkt er doch auf verblüffende Weise wie ein nach Europa schielender Kunstfilm mit einem Fuß tief im Arthouse. Und auch hier wieder, wie in allen seinen Filmen: Hirokis feines Gespür für das Wechselspiel von Stille und Musik. Tolle, eingespielte Songs kommen einer Erlösung gleich, die Stille nicht wie eine aufgezwungene Künstlichkeit sondern wie eine stete Steigerung der Anspannung. Wenngleich der Film sich mir etwas verschlossener präsentiert hat (manchmal als geradezu hermetisch sogar) als andere Filme dieses tollen Regisseurs, der sicher einer der wichtigsten zeitgenössischen Filmemacher seines Landes ist, so kann er doch nichtsdestotrotz völlig überzeugen. Und man kann die Nippon Connection in Frankfurt nur dazu beglückwünschen, diesem Regisseur Jahr für Jahr die Treue zu halten und seinen neuesten Film auf dem Festival zu zeigen.

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