Lootera beginnt wie ein Liebesdrama und kippt dann ziemlich überraschend irgendwann in ein bitterböses Gangsterstück. Um schließlich, gegen Ende, wieder zum Melodrama zurückzufinden. Auch wenn sich die Figuren schwer damit tun, denn inzwischen ist der Graben zwischen ihnen riesengroß geworden. Manikpur 1953, Westbengalen: Ranveer Singh spielt den Archäologen Varun, der auf dem Grundstück des Zamindar (Barun Chanda) einen alten Tempel vermutet und um Erlaubnis bittet, Ausgrabungen tätigen zu dürfen. Dass mit Varun und seinem Gehilfen etwas nicht stimmen könnte, kann man am Anfang nur erahnen. Aus kurzen Seitenblicken, die sich die beiden zuwerfen, aus Momenten, in denen das Gesprächsgeplänkel stockt, oder in der Unbestimmtheit von Varuns Antworten auf eigentlich sehr konkrete Fragen. Wer ebenfalls von Varuns Anwesenheit sehr angetan ist, das ist des Zamindars Tochter Pakhi (Sonakshi Sinha), eine asthmageplagte Nachwuchsschriftstellerin, die sich über den anfänglichen Flirt hinaus in den schüchtern wirkenden Gast verliebt.
Später wird sich herausstellen, dass alles nur ein getürktes Spiel war. Dass Varun zu einer organisierten Verbrecherbande gehört, die es sich zur Spezialität gemacht hat, in dieser Zeit des Umbruchs (durch das Erreichen der Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien im Jahr 1947, was zur Entmachtung und auch zur weitgehenden Enteignung der Zamindare führte, die ihrer Privilegien beraubt wurden) die Großgrundbesitzer um ihre Besitztümer zu erleichtern. Ob sich Varun ebenfalls wirklich in Pakhi verliebt hat, oder ob auch das alles nur vorgetäuscht war, das bleibt lange Zeit sein Geheimnis und wird erst am Ende aufgelöst. Alleine schon, dass diese Frage überhaupt im Raum steht, ist Hinweis genug darauf, dass dieser bengalisch anmutende Bollywood-Film mehr wie ein zurückhaltendes Arthouse-Drama funktioniert, als wie die forcierten Stilexzesse des in allen Belangen überbordenden Masala-Films. Auch alle Machismen sind ihm fremd, flotte Sprüche sowieso, und aufgeknöpfte Hemden der gemeinhin unvermeidlichen Sixpack-Helden. Ranveer Singh spielt, ganz im Gegenteil, den zurückhaltenden, stets defensiv-leise sprechenden Intellektuellen, der (sogar) von der Frau erobert werden muss.
Zwischenzeitlich wird man völlig eingenommen vom märchenhaften Realismus dieses Films, vom hervorragenden Schauspiel der Akteure, die ihre Rollen mit Können und großer Leidenschaft spielen und die völlig in ihren Figuren aufzugehen scheinen. Aber auch auf Bildebene wird in Lootera einiges geboten. Eine ganz wunderbare Kamerarbeit und ein erstklassiges Editing verleihen dem Film eine selten gesehene Perfektion - ein Film, der zudem durch seine tolle, oft verstörende Tonspur besticht, dann wieder durch seine akzentuierte Stille, durch seine perfekte Ausgewogenheit. Wollte man ihm etwas vorwerfen, dann allenfalls, dass seine Perfektion zu einer gewissen Glätte führt, die zu wenig Widerstände bereit hält - dass der Film zu einfach gemocht werden könne. Was ein wenig absurd ist, weil er halt einfach so verdammt gut gemacht ist. Als Beispiel mag gegen Ende die Verfolgungsjagd zu Fuß durch die engen Gassen dienen, die in ihrer Großartigkeit beinahe, und doch anders, mit der dreckigen Verfolgungsjagd im philippinischen Gangsterfilm Kubrador von Jeffrey Jeturian mithalten kann - welche die beste Verfolgungsjagd ist, die ich jemals im Film gesehen habe. Lootera jedenfalls (übrigens co-produziert von Anurag Kashyap), gehört zu den besten zeitgenössischen indischen Filmen, die ich in letzter Zeit gesehen habe, gar keine Frage.
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