Direkt zum Hauptbereich

Lootera / Robber (Vikramaditya Motwane, Indien 2013)


Lootera beginnt wie ein Liebesdrama und kippt dann ziemlich überraschend irgendwann in ein bitterböses Gangsterstück. Um schließlich, gegen Ende, wieder zum Melodrama zurückzufinden. Auch wenn sich die Figuren schwer damit tun, denn inzwischen ist der Graben zwischen ihnen riesengroß geworden. Manikpur 1953, Westbengalen: Ranveer Singh spielt den Archäologen Varun, der auf dem Grundstück des Zamindar (Barun Chanda) einen alten Tempel vermutet und um Erlaubnis bittet, Ausgrabungen tätigen zu dürfen. Dass mit Varun und seinem Gehilfen etwas nicht stimmen könnte, kann man am Anfang nur erahnen. Aus kurzen Seitenblicken, die sich die beiden zuwerfen, aus Momenten, in denen das Gesprächsgeplänkel stockt, oder in der Unbestimmtheit von Varuns Antworten auf eigentlich sehr konkrete Fragen. Wer ebenfalls von Varuns Anwesenheit sehr angetan ist, das ist des Zamindars Tochter Pakhi (Sonakshi Sinha), eine asthmageplagte Nachwuchsschriftstellerin, die sich über den anfänglichen Flirt hinaus in den schüchtern wirkenden Gast verliebt.

Später wird sich herausstellen, dass alles nur ein getürktes Spiel war. Dass Varun zu einer organisierten Verbrecherbande gehört, die es sich zur Spezialität gemacht hat, in dieser Zeit des Umbruchs (durch das Erreichen der Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien im Jahr 1947, was zur Entmachtung und auch zur weitgehenden Enteignung der Zamindare führte, die ihrer Privilegien beraubt wurden) die Großgrundbesitzer um ihre Besitztümer zu erleichtern. Ob sich Varun ebenfalls wirklich in Pakhi verliebt hat, oder ob auch das alles nur vorgetäuscht war, das bleibt lange Zeit sein Geheimnis und wird erst am Ende aufgelöst. Alleine schon, dass diese Frage überhaupt im Raum steht, ist Hinweis genug darauf, dass dieser bengalisch anmutende Bollywood-Film mehr wie ein zurückhaltendes Arthouse-Drama funktioniert, als wie die forcierten Stilexzesse des in allen Belangen überbordenden Masala-Films. Auch alle Machismen sind ihm fremd, flotte Sprüche sowieso, und aufgeknöpfte Hemden der gemeinhin unvermeidlichen Sixpack-Helden. Ranveer Singh spielt, ganz im Gegenteil, den zurückhaltenden, stets defensiv-leise sprechenden Intellektuellen, der (sogar) von der Frau erobert werden muss.

Zwischenzeitlich wird man völlig eingenommen vom märchenhaften Realismus dieses Films, vom hervorragenden Schauspiel der Akteure, die ihre Rollen mit Können und großer Leidenschaft spielen und die völlig in ihren Figuren aufzugehen scheinen. Aber auch auf Bildebene wird in Lootera einiges geboten. Eine ganz wunderbare Kamerarbeit und ein erstklassiges Editing verleihen dem Film eine selten gesehene Perfektion - ein Film, der zudem durch seine tolle, oft verstörende Tonspur besticht, dann wieder durch seine akzentuierte Stille, durch seine perfekte Ausgewogenheit. Wollte man ihm etwas vorwerfen, dann allenfalls, dass seine Perfektion zu einer gewissen Glätte führt, die zu wenig Widerstände bereit hält - dass der Film zu einfach gemocht werden könne. Was ein wenig absurd ist, weil er halt einfach so verdammt gut gemacht ist. Als Beispiel mag gegen Ende die Verfolgungsjagd zu Fuß durch die engen Gassen dienen, die in ihrer Großartigkeit beinahe, und doch anders, mit der dreckigen Verfolgungsjagd im philippinischen Gangsterfilm Kubrador von Jeffrey Jeturian mithalten kann - welche die beste Verfolgungsjagd ist, die ich jemals im Film gesehen habe. Lootera jedenfalls (übrigens co-produziert von Anurag Kashyap), gehört zu den besten zeitgenössischen indischen Filmen, die ich in letzter Zeit gesehen habe, gar keine Frage.

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten, wie er um si

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra