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Zero Focus / Zero no shoten (Yoshitaro Nomura, Japan 1961)


Als der frisch vermählte Gatte bei einer Geschäftsreise in den Norden spurlos verschwindet, macht sich seine Frau, Teiko Uhara (Yoshiko Kuga), auf den Weg dem Verbleib ihres Mannes auf die Spur zu kommen. Jedoch scheint es so, als habe er Suizid begangen und sich eine steile Klippe hinabgestürzt. Dies kommt nun verständlicherweise völlig überraschend und die junge Witwe kann sich mit der scheinbar allzu simplen Wahrheit eines Selbstmords nicht abfinden und nimmt die Ermittlungen fortan selbst in die Hand. Dabei deckt sie ein Geheimnis aus der Vergangenheit auf und gerät selbst in Lebensgefahr.

Wie schon HARIKOMI (und auch THE DEMON und CASTLE OF SAND) basiert der Film auf einem Roman des Schriftstellers Seicho Matsumoto, der sich erneut mit der Aufdeckung eines besonders ungewöhnlichen Kriminalfalles beschäftigt. Nicht nur stehen in ZERO FOCUS drei Frauen als Protagonistinnen im Zentrum des Plots, sondern er löst sich in seiner Struktur in die einzelnen Erzählstränge seiner verschiedenen Wahrheiten auf: denn jede der Frauen offenbart aus ihrer persönlichen Sicht und Wahrnehmung der Ereignisse eine "andere Wahrheit".

Der Kriminalfilm, der zunächst sehr stark beginnt und bis zur Hälfte gut die Spannung hält wandelt sich (je nach Disposition etwas problematisch) zum Charakterdrama und kommt in den endlosen Gesprächen beinah zum Stillstand. Da hier mit dem RASHOMON-Effekt gearbeitet wird, zerfasert die Handlung zusehends und es wird stetig schwieriger, mit den unterschiedlichen und sich ständig abgleichenden Wahrheiten Schritt zu halten. Nun mag man einwenden, das sei ein narrativer Kniff Nomuras um den Zuschauer in die Position der ermittelnden Teiko zu setzen! Das ist sicher richtig, nur muss man dann, wenn man den Ball dem Zuschauer zuspielt auch damit rechnen, dass diesem, der mit weniger Leidensdruck bei der Sache ist als besagte Teiko, bald keine Lust mehr hat, mitzuspielen. Es ist also demnach so, dass der Film einen Rezipienten braucht, der sich auf dieses Rollenspiel einlässt, und nicht einfach abblockt oder abschaltet. Sollte man frustiert den Faden verlieren, so verbleibt dem Unaufmerksamen aber immer noch die fabelhafte schwarz/weiß-Photographie, an der er sich bis zum Filmende berauschen kann.

Unbedingt zu berücksichtigen ist aber, dass ZERO FOCUS in seiner Öffnung auf das Drama der Frauen hin über seinen Status als Kriminal- oder Detektiv-Genrefilm hinauswächst und in seiner Gesellschaftskritik (die mit der Auflösung zusammenhängt und hier nicht verraten wird) einen weit größeren Horizont aufmacht, als man vermuten und ihm zunächst nach der Exposition zusprechen würde.

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Abschied

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