Direkt zum Hauptbereich

Vive l'Amour / Es lebe die Liebe / Ai qing wan sui (Tsai Ming-Liang, Taiwan 1994)


In VIVE L'AMMOUR geht es um drei einsame Großstädter in Taipei, die immer wieder in einer leerstehenden Wohnung aufeinander treffen: die Maklerin Mei (Yang Kuei-mei), die Luxuswohnungen an den Mann bringt und dabei einmal den Schlüssel vergißt abzuziehen; um den Urnenverkäufer Hsiao-kang (Lee Kang-sheng), der eben diesen Schlüssel stiehlt, und um den Straßenhändler Ah-jung (Chen Chao-jung), den momentanen Liebhaber Meis.

Nach der ersten Sichtung würde ich festhalten: weniger fordernd, weniger einprägsam, weniger erinnerungsträchtig als THE RIVER (1997). Auch weniger dicht, was Motivstrukturierungen innerhalb des Fims angeht - THE RIVER zeigt sich da dann doch als sehr komplex gefüllter thematischer wie visueller Kosmos.

Wieder sind die Themen die urbane Entfremdung, die Einsamkeit des Individuums, die Sprachlosigkeit, und Distanz. Die visuellen Mittel, weniger poetisch als in THE RIVER, sind nüchterner und einfacher eingesetzt, werden von spärlichen Dialogen begleitet, mit statische Kamera, Stille. Außerdem läßt sich eine Tendenz zu einem extrem trockenen Humor erkennen, der sich immer wieder in Kleinigkeiten äußert. Manchesmal liest man sogar von "Slapstick" - soweit würde ich nicht gehen, die Körperbetontheit ist aber jedenfalls offenkundig. Besonders deutlich wird diese Körperfokussierung auch im Liebesgeplänkel von Mei und Ah-jung. In einer fantastischen Szene, in der sie sich in einem Schnellrestaurant kennenlernen (?), sprachlos, versteht sich, umschwärmen sie sich in einer großen Flanierbewegung in ein erotisches Begehren hinein. Anschließend kommt es zu Intimitäten, ohne ein Wort miteinander gewechselt zu haben.

So darf der Titel zweifellos als zynischer Kommentar gelesen werden, in der selbst die Protagonisten von Liebesbeziehungen weder ihren Zustand der verzweifelten Isolation durchbrechen, noch in der Lage scheinen, etwas am Zustand ihres Kommunikationsdefizits ändern zu können. Die letzte lange Sequenz, in der Mei erst über schlammigen Baugrund läuft, dann entlang einer Zubringerstraße, darf nicht nur als sozio-kultureller Kommentar zur Lage des Landes gelesen, sondern auch als Metapher für den trostlosen, desolaten emotionalen Zustand seiner Bevölkerung interpretiert werden.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

House Owner (2019) ‘ஹவுஸ் ஓனர்’ (directed by Lakshmi Ramakrishnan)

 Während der Regenzeit in Chennai geht ein zurückgezogen lebendes, älteres Ehepaar durch turbulente Zeiten. Anstatt sich den Lebensabend zu versüßen, sind sie in einer endlosen Spirale der Beziehungshölle gefangen - und zwar deswegen, weil der Ehemann an Alzheimer erkrankt ist. In dieser schwierigen Situation managt die Ehefrau den gesamten Haushalt - aber nicht nur das. Sie kümmert sich freilich um alles und erträgt auch die ruppige Art des ehemaligen Armeegenerals, der sich seiner eigenen Krankheit nicht bewußt ist. Die Schärfe in der Stimme, den ehemaligen Kasernenhof-Ton, hat er leider aber nicht vergessen.    Sriranjini ist dann auch die heimliche Protagonistin und generell die Hauptfigur in diesem aufs Nötigste reduzierten Drama, die alles überstrahlt - und sie meistert die Rolle großartig. Immer wieder bricht der Film aus der aktuellen Zeitschiene aus und springt hinüber auf eine andere, vergangene. Sie zeigt, wie es früher war. Wie sich die beiden kennenlernten...

Thittam Irandu (2021) ‘திட்டம் இரண்டு’ Directed by Vignesh Karthik

Thittam Irandu is a south Indian Tamil police procedural mixed with a nice love story that turns sour as the female detective investigates in a murder case and consecutively digs into the life of her new boyfriend . It is a very dark and atmospheric police procedural, with a hefty overstuffed script - but also with too many fade outs and accumulated scenes that make it almost impossible to find an organic flow in the long  run. It's getting quite annoying as it loses its 'natural rhythm' further down the road, if there's anything like that in filmmaking. Thittam Irandu could have been a lot better aswell with a little more effort especially in the sound department for there are endless repetitions of filler music. Wouldn't have been bad if it took care of the endless plot meanderings at the end aswell. But, there's good acting throughout, so I won't complain too much. Thittam Irandu is enjoyable for most of the running time, even though it starts to dra...