Diese Erzählung Edogawa Rampos handelt von einem blinden Bildhauer und
Masseur, dessen äußerliche Gestalt als häßlich und spinnenfingrig, gleichwohl aber als enorm faszinierend dargestellt wird, und der als Skulpturenkünstler einen abgeschiedenen, riesigen und unterirdischen Raum irgendwo in Tokyos Vororten mit einer obskuren Sammlung aus Gliedmaßen
menschlicher Körper ausgestaltet hat. In allen Formen und Größen und Materialien, aber mit Liebe, ja Besessenheit zum Detail und einer großen ästhetischen Finesse. Nun gelingt es ihm, besonders
schöne Frauen, die als Kundinnen während seiner legendären Massagen die Hemmungen
verlieren, in ebendiesen Raum zu locken, dort gefangen zu halten bis sie
gefügig werden, zu mißbrauchen und, wenn er ihnen schließlich überdrüssig
wird, sie zu töten, zu zerstückeln, und anschließend zu entsorgen.
Bekannt ist diese grausame Geschichte sexueller Perversion auch durch die Verfilmung von Yasuzo Masumura geworden, der sich allerdings nur der Eröffnungsszene und einer ansonsten recht kurzen - aber zentralen -
Passage von etwa 30 Seiten bedient, und daraus einen ganzen,
faszinierend klaustrophobischen Film gemacht hat. Rampos Erzählung geht
weit darüber hinaus, sowohl was die Handlung betrifft, als auch den
Fokus. Dieser liegt zumeist bei den entführten Frauen, veranschaulicht
ihre alptraumartigen Erlebnisse und schlägt dann um in die Perspektive des Mörders. Eine groteske, wortwörtliche Verschmelzung von "Kunst und Leben", wenn aus den menschlichen Körpern konkrete, ihnen nachgebildete Kunstwerke entstehen - welche, ausgestellt in Museen und Gallerien, von Publikum und Kunstkennern euphorisch gefeiert werden. Es ist, als ob eine giftige Spinne die Beute in ihr nachtschwarzes Nest lockt.
Anschließend dann wieder Bilder poetischen Grauens: wie etwa abgetrennte Arme
und Beine an Luftballons über die Stadt schweben... und der Mörder in
die Zeitungen und den Genuß eines (zweifelhaften) Ruhmes kommt, der ihn regelrecht berauscht.
MOJU ist vielleicht auch gerade deswegen herausragend, da hier viele der Charakteristika vereint sind, die das Werk Edogawa Rampos ansonsten auszeichnen. Abgesehen von einer spannend erzählten Geschichte, die voller Einfälle und Esprit zu sprühen scheint (auch in ihrem Kommentar auf den Kunstbetrieb), ist es [1.] das mehrfach verwendete Motiv eines kranken, aber genialen Kriminellen, der hier als Protagonist fungiert, sowie [2.] eine Geschichte, die immer wieder ihre Grenzen auslotet und überschreitet, hier zur schwarzen Komödie hin, und die [3.] schließlich einen Einblick in eine psychotische, sexuell aufgeladene Hölle gewährt. Wie die
anderen Erzählungen Edogawa Rampos ist auch diese in schlichter,
einfacher Sprache gehalten, was einen ungewohnten, aber spannenden
Kontrast zu den ausgeführten Inhalten darstellt, da derart vom Leser
eine wie beiläufige Akzeptanz des Sensationellen als Gewöhnlichkeit
erzwungen wird. Eine ungemütliche Position zwischen Faszination und
Grauen ist das, in die man als Leser gerückt wird. Sehr schön, sehr bizarr.
Michael Schleeh
***
Das Buch gibt es hier bei amazon, und hier den Film. Beim Buch heißt es zuschlagen - es wäre nicht das erste Mal, das eine solche Liebhaberveröffentlichung plötzlich vergriffen ist und dadurch der Text erstmal unerreichbar für diejenigen wird, die des Japanischen nicht mächtig sind.
***