Direkt zum Hauptbereich

Coal Money / L'argent du Charbon / Tong dao (Wang Bing, Frankreich 2008)


Im Norden Chinas erstrecken sich die weiten Einöden der Inneren Mongolei, die als autonomes Verwaltungsgebiet und von den Mongolen aus gesehen politisch korrekt eigentlich Südliche (vs. Nördliche) Mongolei genannt werden müsste (denn ansonsten bestätigt man die ethnozentrische Position der Chinesen), eine Gegend, die über große, dabei schwer zugängliche, tief in den Erdschichten verborgene natürliche Ressourcen verfügt: Kohle, Kupfer, Öl. Wang Bings knapp einstündiger Dokumentarfilm begleitet chinesische Lastwagenfahrer, die ihr Auskommen mit dem Weiterverkauf von Kohle erwirtschaften, und die ihre Ware im Umland an Zwischenhändler weiter verschachern.

Ein wahrlich dreckiges Geschäft, da jeder jeden über den Tisch zu ziehen versucht, um einen möglichst guten Schnitt zu machen. Und offenkundig leben trotzdem alle am Existenzminimum. Die LKW-Fahrer arbeiten ohne Unterlass, schlafen in den Kabinen, sehen entsprechend verwildert aus. Auf den Fernstraßen brettert ständig der Schwerlastverkehr vorüber, Staub liegt über allem. Die Verhandlungen mit den zerlumpten Zwischenhändlern finden in abbruchreifen Häusern entlang dieser Ausfallstraßen statt, mal mehr, mal weniger freundlich. Immer wird Kette geraucht. Überhaupt gibt es nur zwei Gegenstände, die man scheinbar besitzen muss: das Handy und die Zigaretten. Mit dem Handy werden die aktuellsten Preise aus der umliegenden Region abgecheckt, mit den verteilten Zigaretten die Geschäftspartner besänftigt. Es ist die Verhandlungskunst, auf die es schließlich ankommt, die gerissene Strategie, auch mal das Überhören von Beleidigungen oder von schlechten Angeboten, das Davonlaufen und doch gesprächsbereit bleiben, um dem Verhandlungspartner die Möglichkeit zu geben, noch einmal die Meinung zu ändern, die diese Aufeinandertreffen so unglaublich spannend machen. Und am Ende, wenn dann doch gekauft wurde, dürfen ein paar abgerissene Hansel die Kohle mit bloßen händen und ein paar Schaufeln entladen. Dann wird erneut gefeilscht, wer nun diese Arbeiter bezahlen muss: der Anlieferer oder der Abnehmer. Ein schmutziges Geschäft.

Wang Bing wählt mittellange Einstellungen für diesen Film, schneidet also recht häufig dafür, dass er für seine stundenlangen Exzesse bekannt geworden ist. Natürlich ist die Kamera statisch und es gibt keine Musik. Der Film erzählt sich wie "von selbst", es gibt keine Schrifttafeln oder gar einen Voice-Over. Alles geht über die Montage, den Bildausschnitt, die Auswahl der Szenen. Es ist eine Geschichte, die am Ende zu ihrem Anfang zurückfindet, zur Baustelle, an der die Wagen beladen werden. Nur um sich zu wiederholen, als Endlosschleife. Am Ende wird der Zuschauer mit den Fahrern eine Tour mitgemacht haben. Die Einblicke, die man in diesen Arbeitsalltag gewinnt, sind phänomenal. In diesem stillen Film voll betäubender Alltagsgeräusche ist enorm viel zu entdecken. Muss man definitiv gesehen haben.










***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Sleep Has Her House (Scott Barley, GB 2016)

"And the dark is always hungry." (Scott Barley) Scott Barley's apocalyptical drone-room of a film is a fascinating experience. Not only a film to watch, but definitely one to listen to, as the audio is almost as impressive as its pictures. Very often, the images are blurred in the beginning, but with the slightest movements of the camera, the picture does get clearer, more concrete, focused, but sometimes nothing happens at all, too. Nevertheless, the film feels very dynamic - it's a weird state of an inherent Bildspannung , a suspense (and tension that might rip apart) inside of the images themselves that keeps you totally immersed.  Static movement  of the camera might be the term of technique to describe the process of capturing those dreamlike images, which are almost incomprehensive at first, always hard to grasp. As there seems to be no plot, no dialogue, no actors, there are none of the usual narrative anchors that guide us through a film, or movie. O...

Aido: Slave of Love (Susumu Hani, Japan 1969)

Here are some pictures I took during a private screening of Susumu Hani's extremely rare and seldom seen feature film  AIDO - SLAVE OF LOVE , which is the movie Hani made after the famous NANAMI: INFERNO OF FIRST LOVE. The film is beautifully shot, completely absorbing and structurally abandoning all narrative consensus - it is somehow - for most of the time - a subjective trip into the mind of the protagonist Shusei (Kenzo Kawarasaki). As you can asume, a dreamlike state predominates the film; and with its' devotion to extensively focussing on the details of the body while making love, presented in detailed close-ups, aswell as its' beautifully daring setpieces, it reminded me to some extent of Toshio Matsumoto's experimental oeuvre, as for example in his short film PHANTOM . AIDO was submitted to the competition-section of the 19th Berlin International Film Festival (aka Berlinale) - a fact that is quite astonishing, if you consider the direction the main section of ...