Ein erfolgreicher und noch unverheirateter Schauspieler und Lebemann, über dem das Damoklesschwert des Karriereknicks schwebt, nimmt ausnahmsweise den Zug nach Delhi, wo er einen Preis empfangen soll - die Flüge waren alle ausgebucht. Dort im Zug, auf diesem beengten Raum, wo beinah auch der ganze Filme spielt, macht er die Bekanntschaft verschiedener Leute, die ihn freilich alle erkennen, aber nicht alle sind ihm positiv gesonnen. Sein Name wird mit einem Skandal in Verbindung gebracht: mit einer Schlägerei am Vorabend, wo es um eine Liebessache gegangen sein soll. Eine Zeitung berichtete am Morgen in einem Artikel. Außerdem geht das Gerücht um, dass sein neuster Film ein Flop sein soll. Um die Situation noch etwas zu verschärfen, macht er die Bekanntschaft einer aufgeweckten, selbstbewußten Journalistin namens Aditi Sengupta (Sharmila Tagore), die ihn gerne für ihre Liebhaber-Kulturzeitschrift interviewen möchte. Sie aber will ein "richtiges" Interview mit dem Star, eines, das in die Tiefe geht und den "wahren Menschen" hinter der Fassade des Stars zeigt. Doch genau das versucht Arindam Mukherjee (Uttam Kumar) zu vermeiden. Um seine Persönlichkeit hat er eine Mauer hochgezogen.
Und dann betrinkt er sich auch noch. Und dann verliebt er sich auch noch. Aber eine Komödie ist NAYAK nicht. Beinahe möchte man Mitleid mit ihm haben, dem Protagonisten, der hier doch zunächst etwas unsympathisch auftritt, arrogant, kurz angebunden, sich seines Status' und Aussehens sehr bewußt. Doch Satyajit Ray führt diese Person in verschiedene problematische Situationen hinein, die alle gelöst werden wollen, und das macht Arindam überwiegend originell und freundlich, kreativ. Natürlich ist die hübsche Aditi Sengupta auch ein love interest, zugleich aber eine unabhängige Frau, die keineswegs nur als Widerpart und somit auf Abhängigkeit zur Hauptfigur hin konstruiert und reduziert ist. Vielmehr ist sie eine eigenständige Persönlichkeit und Protagonistin, die Arindam auch in ästhetischen, künstlerischen wie moralischen Fragen herauszufordern weiß. Allein, eigenständige Spielzeit wird ihr dennoch kaum einmal zugestanden.
Formal ist auch dieser Ray einem elegant anmutenden Realismus verpflichtet, dem bengalischen Kunstkino, das der in jeder Hinsicht überschäumenden Kinematographie Bollywoods entgegensteht. Eher an europäischem Arthouse orientiert, gibt es dann auch hier keine Gesangs- & Tanznummern, kein Liebesleid und Liebesglück, sondern den Menschen in der Klemme mit ernstzunehmenden, existenzialistischen Sorgen und Nöten. Problematisierung der Geschlechterverhältnisse. Da ist es besonders schön, dass NAYAK so leichtfüßig inszeniert ist, immer mit einem Lächeln, das aber glücklicherweise eher von Chaplin stammt als von einem (meist gut gemeinten aber selbstgefälligen) Gutmenschenkino - damit hat Ray überhaupt nichts am Hut. Interessant ist auch die Rückblendenstruktur des Films, in der sukzessive die Biographie und der Werdegang des Künstlers als junger Mann dargestellt wird. Inwieweit das immer verlässlich ist, ist fraglich - wir befinden uns schließlich nun in der Erzählung der Figur selbst, sozusagen in einer Erzählung innerhalb der Erzählung - und wer weiß, was hier alles beschönigt wird (hierauf könnte man ein Augenmerk bei einer weiteren Sichtung legen). Schönerweise finden sich in NAYAK, als cineastische Höhepunkte, zwei Alptraumsequenzen wie in einem surrealistischen Horrorfilm; in einer versinkt Arindam im Treibsand seiner Millionen; ein Tod, wie man ihn allenfalls Dagobert Duck wünschen würde.
"Nayak" ist freilich dennoch ein Stück weit ein ironischer Filmtitel, denn der Held ist viel eher ein Anti-Held; gleichwohl aber wird überdeutlich, dass er ein Mensch ist, der sein Umfed ernst nimmt, echte Gefühle zu entwickeln imstande ist, und der - auch wenn es kein Happy Ending gibt - klüger aus der Geschichte hervorgeht, als er hinein gegangen ist. Wie auch der Zuschauer. Mitten im Gewusel der Fans - bei Ankunft in Delhi - ist Arindam der Einsame, der zurückgelassen wird. Aus Respekt vor ihm hatte Aditi ihre Notizen für das Interview zerrissen. Ein trauriger, aber wunderschöner Schluss für diesen formidablen Film.
Michael Schleeh
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