Direkt zum Hauptbereich

Hong Kong International Film Festival 2014: Na pian hu shui / Lake August (Yang Heng, China 2014)


Ein junger Mann aus der Stadt betrauert den Tod seines Vaters und macht sich auf den Weg aufs Land in seine Heimat, in die Provinz Hunan, um den Vater zu beerdigen. Um sein Leben zu überdenken und neu zu ordnen. Zudem hat ihn eben seine Freundin verlassen. Sie hat sich dazu entschieden, einem erfolgreicheren und reicheren Mitbewerber das Glück über ihre Zukunft anzuvertrauen. Und da hat sie vielleicht gar nicht schlecht entschieden, denn dieser stille, zurückgezogene, aus ennui kettenrauchende Protagonist Ah Li (gespielt von Tian Li) hat weder etwas Liebenswertes, noch etwas besonders Attraktives an sich. Er lässt sich in den Tag hinein treiben, betrunken, wie auf einem Boot liegend, und auf das Wasser starrend. In einem Fischerdorf angekommen, das wohl in der Nähe seines Heimatortes liegt (eigentlich will er ja zur Beerdigung seines Vaters), landet der antriebslose Tagedieb in einer kleinen Pension, die von einem ehemaligen Schulkameraden namens Monkey und seiner Freundin Ah Fang (Shang Xiaoling) geführt wird. Monkey freundet sich direkt wieder an, Ah Li wehrt sich nicht dagegen, trinkt Bier mit ihm und starrt aufs Wasser. Sie jedoch scheint interessiert an ihm, denn auch ihr ist vor allem: sehr langweilig. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie was zusammen anfangen, doch auch das hat, wie man schon ahnt, keine Zukunft. Am Ende sehen wir Ah Li erneut wieder auf dem Dach seines Hauses, über die Stadt blickend, rauchend, und nichts hat sich verändert.

BETELNUT - Regisseur Yang Heng gilt als der Vertreter des chinesischen slow-cinema, das vor allem bei akademisch geprägten, asienfokussierten europäischen Filmfestivals - mit Vorliebe für den Independent-Film - gefeiert wird. Und Yang Hengs neuer Film, vom Rotterdamer Robert Bals Fund finanziert, erfüllt diese Erwartungshaltung vollkommen. Was man bekommt sind lange, statische Einstellung schöner Landschaftspanoramen, mal im Regen, mal im gleißenden Licht, sprachlose Protagonisten, die sich in ihren Schmerz zurückgezogen haben, etwas Politik (hier wird zur Feier des Parteitags ein Ballon an einer Hausfassade befestigt, was nicht so recht klappen will), den Alltag in seiner schnöden Alltäglichkeit, und eine rudimentär erzählte Geschichte, die hin und her driftet, scheinbar ohne konkretes Ziel. Natürlich keine Musik. Sympathischerweise wird so natürlich mit den üblichen Erzählmustern gebrochem, die anerkanntermaßen in unserem Kulturkreis zum guten Ton "gelungenen Erzählens" gehören. 

Und obwohl überall die Gefahr des Selbstzweckhaften wie des Prätentiösen lauert, umschifft Yang Heng diese Klippen sehr gekonnt (abgesehen vielleicht direkt von der ersten Einstellung, schmerzvoll auf dem Boot). Vielleicht gerade deswegen, weil er seine Bilder nicht mit einer Botschaft auflädt, die bedeutungsschwanger hinter ihnen dräut und ins Sichtbare drängt. Sie erscheinen für den Betrachter frei verfügbar zu sein, ganz so, als könne dieser mit ihnen machen, was er wolle. Dass man so gut wie überhaupt keinen Einblick in die Psyche, die Ängste und Nöte des Protagonisten bekommt, ist nicht verwunderlich. Das macht auch ihn zum leeren Blatt, das beschrieben werden kann - und wenn man in der ersten Stunde noch auf eine Regung hofft, die einen Zugang ermöglicht, so schreibt man das spätestens in der zweiten irgendwann ab. Und auch wenn sich das alles möglicherweise redundant und sehr langweilig anhört - das ist es dann dennoch nicht. In Yang Hengs Film lauert eine tieferliegende Spannung, etwas Rastloses trotz der Stille, die nie meditativ wirkt, sondern eher wie kurz vor dem Ausbruch - ohne dass man das direkt an ihm festmachen könnte. Möglicherweise sind das fragmentarische Überreste aus den Genremustern von Gangster- und Kriminellengeschichten, mit denen der Regisseur sonst, demontiert, zu spielen pflegt. Das Älltagliche steht bei Yang Heng wie auf der Kippe - es ist nur ein Schritt bis zu einer Schlägerei, zu einem Mord, in die Prostitution, in den Tod. In LAKE AUGUST ist das Besinnliche abhanden gekommen, das fragmentarische Ich steht zur Disposition.




***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Two famous female writers from Japan: Yû Miri's 'Tokyo Ueno Station' & Hiromi Kawakami's 'People from my Neighbourhood'

TOKYO UENO STATION is not a straight narrative, but rather a quite experimental novel. As "the plot" unravels in flashbacks - by an obscure, already seemingly dead medium floating around Ueno park, the story of a life of hardship  is slowly being revealed. Of heavy labor, broken families, financial troubles and finally: homelessness. This is not the exotistic Japan you will find on a successful youtuber's channel. The events get illustrated by those of "greater dimensions", like the historical events around Ueno park hill during the Tokugawa period, the Great Kanto earthquake, the fire bombings at the end of WW II or the life of the Emperor. Quite often, Yû Miri uses methods of association, of glueing scraps and bits of pieces together in order to abstractly poetize the narrative flow . There are passages where ideas or narrative structures dominate the text, which only slowly floats back to its central plot. TOKYO UENO STATION is rather complex and surely is n...

Eighteen Years, to the Sea / 十八歳、海へ (Toshiya Fujita, Japan 1979)

 Toshiya Fujita (Regisseur von z.B. den LADY SNOWBLOOD-Filmen oder STRAY CAT ROCK: WILD JUMBO ) liefert hier einen typischen japanischen End-70er-Jahre Genrebeitrag ab, in dem sich "Junge Wilde" in ihrem ganzen übersatten Ennui dermaßen anöden, dass sie auch mal dieses Ding mit dem Doppel-Liebestod ausprobieren wollen. Existenziellere Nöte gibt es kaum, sie sind sogar in ihrer Abschlußklasse ganz vorne auf der Liste. Die Eltern haben alle Geld, aber man kann es sich leisten, es nicht annehmen zu wollen.  Also geht man in Kamakura ins Meer, legt sich mit einer Bikergang an, nimmt Schlaftabletten (aber immer nur eine) und erhängt sich zum Spaß mit einem Seil, das schon ganz verrottet ist und auf jeden Fall reißt.  Ansonsten gibt es viel unbeholfenen Sex, der schnell in Gewalt ausartet, einmal auch in eine (fürs Genre obligatorische) Vergewaltigung, an deren Ende das Opfer den Täter sogar noch bittet, sich zukünftig um die Schwester zu kümmern.  Es ist alles wunderbar a...