Direkt zum Hauptbereich

Dead Time: Kala (Joko Anwar, Indonesien 2007)


Spätestens mit Kala ist der ehemalige indonesische Filmkritiker Joko Anwar auch im Westen bekannt geworden: der Film lief auf ziemlich vielen Festivals kleinerer und mittlerer Größe und die Zeitschrift Sight & Sound feierte den Film in ihrer 2007er Jahresbestenliste ab. Gemeinhin gilt Kala als erster indonesischer Film Noir - aber er ist viel mehr als das: er ist auch ein dystopischer Entwurf eines Niemandslandes, der zudem den mythologisch gefärbten Horrorfilm einbindet, und das alles in einem Setting der 50er Jahre. Was man sowohl an den Autos und der Bekleidung sieht, als auch an der Art und Weise, wie Anwar seine Bilder gestaltet (vom Style her erinnert das alles etwas an Naked Lunch von Cronenberg (1991)). Bekannt etwa ist der Shot im Treppenhaus mit einer weiten Wendeltreppe, auf der dem Protagonisten recht früh im Film eine Art Gott des Todes begegnet ("Kala" ist der Javanesische Gott der Trübsal). Eine weiße, kauernde Gestalt mit wirren Haaren, die immer wieder unvermittelt auftaucht - und selbst wenn sie über die Tonspur angekündigt wird, verliert sie nichts von ihrem Schrecken.


Im Film geht es um einen Cop und einen unermüdlichen Reporter, der gerade seinen Job verloren hat, die den Mord an einer verbrannten Leiche aufklären wollen. Mitten in der Stadt war es zu Tumulten gekommen, und der Mob hatte schnell einen Schuldigen gefunden: eben jenen Mann, der dann vor aller Augen angezündet wurde. Kurz darauf wird eine schwangere Frau mehrfach auf der Straße überfahren. Dass hier irgend etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ist schnell klar. Die Frage ist nur, ob es sich um ein Komplott korrupter Politiker, religiösen Wahn, einen bevorstehenden Weltuntergang oder um die Dämmerung einer mysteriösen Endzeit handelt. Viel spricht jedenfalls dafür, dass auch übernatürliche Kräfte mit am Werke sind.

Alle Bilder in Dead Time: Kala sind stilisierte Bilder. Zumeist sind sie ockerfarben gefiltert, manchmal auch in einem erdigen Grünton gehalten, oder in einem dunklen Grau. Gegen Ende dann superstilisiert, knallig wie im dritten Teil von Takashi Miikes Dead or Alive: Final oder in Nelson Yu Lik-wais brasilianischem Endzeitgemälde Plastic City (2008). Da fällt er dann in eine komplett außerweltliche Zeitlosigkeit, in der sich das menschliche Tun als hinfällig offenbart. Das Dasein als Höllenfahrt. Aber ganz so klar ist dieser tatsächlich vollkommen überraschende Twist am Ende erstmal nicht. Vor allem in der zweiten Hälfte des Films werden einige komplexere Sub-Handlungsstränge eingeführt, die einen äußerst wachen Geist vom Zuschauer fordern. Damit konnte ich leider zu später Stunde nicht wirklich dienen (auch wenn es, zum Beispiel, um Sex ging), sodaß mir die eine oder andere Handlungsschleife ein Rätsel blieb. Eine große Einschränkung bedeutet das indes nicht, man kann sich wunderbar an diesen kunstvoll gestalteten Bildern delektieren und die wirklich ungewöhnliche Atmosphäre des Films aufsaugen. Dead Time: Kala hat mir ziemlich gut gefallen - aber eine Zweitsichtung wird nötig sein, um ihn zur Gänze zu durchsteigen. Bis dahin empfehle ich den Text (mit tollen Bildern) von Hypnosemaschine Alex Klotz, der mir schon vor längerer Zeit den Regisseur ans Herz gelegt hatte und mir auch dankenswerter Weise den Film zukommen ließ.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine sc...

Eighteen Years, to the Sea / 十八歳、海へ (Toshiya Fujita, Japan 1979)

 Toshiya Fujita (Regisseur von z.B. den LADY SNOWBLOOD-Filmen oder STRAY CAT ROCK: WILD JUMBO ) liefert hier einen typischen japanischen End-70er-Jahre Genrebeitrag ab, in dem sich "Junge Wilde" in ihrem ganzen übersatten Ennui dermaßen anöden, dass sie auch mal dieses Ding mit dem Doppel-Liebestod ausprobieren wollen. Existenziellere Nöte gibt es kaum, sie sind sogar in ihrer Abschlußklasse ganz vorne auf der Liste. Die Eltern haben alle Geld, aber man kann es sich leisten, es nicht annehmen zu wollen.  Also geht man in Kamakura ins Meer, legt sich mit einer Bikergang an, nimmt Schlaftabletten (aber immer nur eine) und erhängt sich zum Spaß mit einem Seil, das schon ganz verrottet ist und auf jeden Fall reißt.  Ansonsten gibt es viel unbeholfenen Sex, der schnell in Gewalt ausartet, einmal auch in eine (fürs Genre obligatorische) Vergewaltigung, an deren Ende das Opfer den Täter sogar noch bittet, sich zukünftig um die Schwester zu kümmern.  Es ist alles wunderbar a...

Two famous female writers from Japan: Yû Miri's 'Tokyo Ueno Station' & Hiromi Kawakami's 'People from my Neighbourhood'

TOKYO UENO STATION is not a straight narrative, but rather a quite experimental novel. As "the plot" unravels in flashbacks - by an obscure, already seemingly dead medium floating around Ueno park, the story of a life of hardship  is slowly being revealed. Of heavy labor, broken families, financial troubles and finally: homelessness. This is not the exotistic Japan you will find on a successful youtuber's channel. The events get illustrated by those of "greater dimensions", like the historical events around Ueno park hill during the Tokugawa period, the Great Kanto earthquake, the fire bombings at the end of WW II or the life of the Emperor. Quite often, Yû Miri uses methods of association, of glueing scraps and bits of pieces together in order to abstractly poetize the narrative flow . There are passages where ideas or narrative structures dominate the text, which only slowly floats back to its central plot. TOKYO UENO STATION is rather complex and surely is n...