Es ist eine Art stillgelegtes Fegefeuer, das man in Apichatpong Weerasethakuls jüngstem Film CEMETERY OF SPLENDOUR
betritt: zwischen Leben und Tod schwebend, da sie an einer merkwürdigen
Erschöpfungskrankheit leiden, vegetieren zehn Soldaten in einem
Krankenhauszimmer dahin. Keiner rührt sich, flaches Atmen, ein paar
Tropfen Körperflüssigkeit fällt in den Urinbeutel. Die Fenster sind weit
geöffnet, in die Natur hinaus geht der beinahe idyllische Blick auf die
Vorstadt von Weerasethakuls Heimatstadt Khon Kaen. Doch vor der Tür ist
eine Baustelle. Erde wird ausgehoben, umgewälzt. Ist das vielleicht der
Friedhof aus dem Titel? Oder doch das Krankenzimmer selbst? Und wo ist
die versprochene "Herrlichkeit"?
In diese Zwischenwelt - noch nicht Jenseits, nicht mehr die Welt -
fällt dieser Film. Und da verwundert es auch nicht, dass die Mystik
Einzug erhält. Die klare Linie zwischen Realität und Fantasie wird
unscharf, verliert sich in den Träumen der Patienten, den Erinnerungen,
den Vorahnungen, den Toten und den Lebenden. Dies ist nun nichts Neues
bei Weerasethakul, man erinnere sich nur an den Cannes-Gewinner UNCLE BOONMEE ERINNERT SICH AN SEINE FRÜHEREN LEBEN,
in dem sich die toten Familienangehörigen noch am Essenstisch
materialisierten - und nach kurzer Verwunderung der Lebenden als
gegebene Realität akzeptiert wurden. Freilich wird das beim
thailändischen Arthouse- und Festivalliebling (man schaue sich nur die
enorme Anzahl der europäisch-westlichen Produzenten dieses Filmes an)
alles wie selbstverständlich erzählt: keine Erklärung oder Einführung,
kein erkennbarer Plot, kein Spannungsbogen, keine Musik (und dann
irgendwann aber doch schon), manchmal auch keine Credits (oder wie im
Falle von BLISSFULLY YOURS urplötzlich nach 45 Minuten
Spielzeit): nichts, was man als narratives Erzählkino bezeichnen würde.
Dafür kommt der Mann zu sehr vom experimentellen Kunstkino, als dass er
gängigen Formeln und Schemata gehorchen würde. Bei Weerasethakul schält
sich "die Geschichte" bestenfalls selbst irgendwann für den Zuschauer
heraus. Für viele plätschert das vermutlich alles auch einfach nur so
dahin. Für andere wiederum öffnen sich die tollsten cineastischen
Möglichkeitsräume des zeitgenössischen Kinos. Etwa wenn sich plötzlich
zwei bereits seit langem tote, laotische Prinzessinnen in
Alltagskleidern vor der Krankenschwester Jenjira materialisieren, und
diese die beiden Frauen mit kaum mehr als einem Wimpernzucken als völlig
natürliche Erscheinungen behandelt.
Und wenn man genauer aufpasst, dann bemerkt man auch, dass nichts so
ist, wie es sonst immer ist. Das Hospital etwa, ist kein richtiges
Hospital, sondern war einmal eine Schule. Die Krankenschwester ist nur
eine ehrenamtliche Hilfe, die sich immer wieder Rat holt bei einer
jungen Frau, die den Kranken als spirituelles Medium dient, um mit ihren
Erinnerungen und Toten in Kontakt zu treten - oder auch der Zukunft.
Ärzte sieht man fast nie in diesem Film, und einer der Kranken namens
Itt steht irgendwann auf und geht mit der Protagonistin Mittagessen.
Außerdem wiederholen sich die Motive aus vergangenen Filmen des
Regisseurs augenfällig. Neben den oben genannten thematischen
Kontinuitäten setzen sich auch kleinere Aspekte fort: die Frau mit dem
zu kurzen Bein ("Jenjira", gespielt von Jenjira Pongas Widner)
entspricht der Schwester aus UNCLE BOONMEE ERINNERT SICH AN SEINE FRÜHEREN LEBEN,
die durch den ganzen Film gehumpelt ist, das Medium Keng (Jarinpattra
Rueangram, mit dem schwarzen Pferdeschwanz) entspricht der jungen
Geliebten in BLISSFULLY YOURS (mit dem Pferdeschwanz),
die am Fluss den schlaffen Penis des burmesischen Freundes streichelte,
während das Wasser um sie herum funkelte. In diesem Film schnippt Keng
das erigierte Glied eines der Soldaten. Die Frauen, die um ihn herum
sitzen, fangen dann an zu kichern. Der unmittelbare Einsatz der Musik,
die keinen oder zumindest keinen offensichtlichen Bezug zum Film hat -
hier bei einer Fitness-Tanznummer von älteren Herrschaften, wie man es
häufig in den südostasiatischen Ländern am frühen Morgen oder späten
Abend bestaunen kann. Nur passt die Musik überhaupt nicht zum Rhythmus
der Tanzenden. Und als sie vorbei ist, da rollen wenig später die
Credits wieder zum banalen Umgebungston. Was wiederum sehr schön ist, da
man nun mit den echten, welthaften Geräuschen dieses Landes aus dem
Film entlassen wird. Das fühlt sich an, als würde er ein "Auf Wiedersehen!" winken. Der
Blick in die Bäume, hinauf in den Himmel. Dann in die Sonne, zu den
Wolken, ins Blaue hinein. Lange Einstellung, statische Kamera. Oder auch
beim Essen, wie das Gericht auf den Fladen gehievt wird, im
Schneidersitz sitzend, und anschließend die Finger geleckt werden:
Echoraum, Weerasethakul. Auch in solchen Details wiederholt dieser Film
bereits bekannte Motive und führt so die Kontinuitäten fort, die sich
durch das bisherige Werk Weerasethakuls zogen.
Eine politische Dimension bekommt der Film außerdem noch durch die laotischen Prinzessinnen, die von einem schweren Kampf der Soldaten berichten, der sich ursprünglich auf dem Grund und Boden des Hospitals abgespielt habe. Und der sich auch heute noch, in einem weltfernen Raum irgendwo abspiele. Die Kämpfer würden ihre Kraft aus den komatösen Leibern der Soldaten abziehen, um so ihren Kampf fortführen zu können. Die Vergangenheit verschränkt sich mit der Gegenwart. Und Jen pflichtet bei, dass auch sie damals immer sehr müde gewesen sei, wenn sie dort in die Schule gegangen wäre. Man weiß manchmal nicht so genau, ob der Regisseur hier wieder einmal seinen feinen, oft beinahe unkenntlichen Humor hat einfließen lassen, oder ob das wichtige Element der Aussage allein auf der Öffnung des Möglichkeitsraumes beruht. Letzteres sicherlich, werden doch bei Weerasethakul die narrativen Elemente eher durch den Bildfluss, den Rhythmus, die Tonalität vermittelt, als durch Plotpoints. Oder wie die suggestiven Bilder der Patienten, eingehüllt in die Farben der Lichttherapie, mit der man vielleicht auch die Schrecken der unsichtbaren Militärdiktatur Thailands loswerden möchte. Dieser sensible Film fühlt sich an wie eine Meditation, die in ganz verschiedene Richtungen schweift - die das Leben, die Vergänglichkeit, das Jenseits, die Realität, Religion und Spiritualität in eins fließen lässt. Und obwohl CEMETERY OF SPLENDOUR vom künstlerischen Standpunkt zunächst fremd wirken mag, fühlt er sich unheimlich nah, dicht dran und menschlich an.
Eine politische Dimension bekommt der Film außerdem noch durch die laotischen Prinzessinnen, die von einem schweren Kampf der Soldaten berichten, der sich ursprünglich auf dem Grund und Boden des Hospitals abgespielt habe. Und der sich auch heute noch, in einem weltfernen Raum irgendwo abspiele. Die Kämpfer würden ihre Kraft aus den komatösen Leibern der Soldaten abziehen, um so ihren Kampf fortführen zu können. Die Vergangenheit verschränkt sich mit der Gegenwart. Und Jen pflichtet bei, dass auch sie damals immer sehr müde gewesen sei, wenn sie dort in die Schule gegangen wäre. Man weiß manchmal nicht so genau, ob der Regisseur hier wieder einmal seinen feinen, oft beinahe unkenntlichen Humor hat einfließen lassen, oder ob das wichtige Element der Aussage allein auf der Öffnung des Möglichkeitsraumes beruht. Letzteres sicherlich, werden doch bei Weerasethakul die narrativen Elemente eher durch den Bildfluss, den Rhythmus, die Tonalität vermittelt, als durch Plotpoints. Oder wie die suggestiven Bilder der Patienten, eingehüllt in die Farben der Lichttherapie, mit der man vielleicht auch die Schrecken der unsichtbaren Militärdiktatur Thailands loswerden möchte. Dieser sensible Film fühlt sich an wie eine Meditation, die in ganz verschiedene Richtungen schweift - die das Leben, die Vergänglichkeit, das Jenseits, die Realität, Religion und Spiritualität in eins fließen lässt. Und obwohl CEMETERY OF SPLENDOUR vom künstlerischen Standpunkt zunächst fremd wirken mag, fühlt er sich unheimlich nah, dicht dran und menschlich an.
Michael Schleeh
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