Es ist manchmal kaum zum Aushalten, wie der Protagonist Takashi Aoyama (gespielt von Asuka Kudo) von seinem Boss tyrannisiert wird. Yamagami (legendary Kotaro Yoshida) ist ein einziger Alptraum, ein sadistischer Menschenschleifer, der nichts anderes im Sinn hat, als die Angestellten in seiner Abteilung bis aufs letzte auszupressen. Das Regime ist das der Angst, das Mittel die totale Unterwerfung. Ob diese Verhältnisse nun überspitzt dargestellt werden oder beispielhaft für eine weitgehend übliche Praxis, ist schwer zu sagen. Film verdichtet. Der enorme Druck, unter dem die Salarymen und -women stehen und den sie erdulden müssen, ist jedenfalls Legende und nicht erst seit gestern bekannt.
Die Lage spitzt sich zudem zu, als Aoyama den Auftrag eines wichtigen Kunden verpatzt. Vor dem beruflichen und auch sozialen Ruin stehend gerät er in einen Zustand völliger mentaler und körperlicher Erschöpfung, der einem Delirium gleicht und auf einen Burnout hinweist. Sich selbst das Leben zu nehmen erscheint plötzlich als plausibler Ausweg aus einer Misere, die nicht mehr aufzulösen ist. Doch plötzlich taucht sein alter Schulfreund Yamamoto auf, der ihn aus der Lethargie und seiner unterwürfigen Passivität herauszureißen versucht. Und man kann es kaum glauben - es scheint zu gelingen.
Für einen kurzen Moment bekommt man als Zuschauer den Eindruck, dass der Film nun auch in ein LGBT-Drama kippen könnte, da die Anwesenheit des Mannes einen großen Impuls im Leben Aoyamas setzen kann, der auch - auf einer subtilen Ebene - ein erotischer sein könnte. Das japanische Kino spielt ja durchaus häufiger mit dieser "Grenze" (die eigentlich keine ist), zuletzt auch überdeutlich in der Anime-Verfilmung Yurii!! on Ice, in der sich zwei Eislauf-Künstler einander annähern. Die Art und Weise wie hier die Kamera die Gesichter abtastet und den Aufprall des Glückes im tristen Leben des Anderen inszeniert, legt eine Entwicklung des Plots in diese Richtung zumindest in einen wahrscheinlichen Bereich.
ちょっと今から仕事やめてくる wurde nach einer in Japan sehr erfolgreichen Romanvorlage gedreht, die von der Autorin Emi Kitagawa stammt. Der Roman gewann auch einen nicht unbedeutenden Literaturpreis, der jedes Jahr eine populäre light novel auszeichnet. Erschienen ist der Prosaband, wie der Film, beim Verleger Kadokawa. Und hierin könnte auch der Grund dafür liegen, dass der Film nicht so richtig überzeugen kann. Light novels sind an ein eher jugendliches Publikum gerichtet, das stark anime- und manga-affin ist, dabei aber zur Prosaerzählung strebt. Der Film behandelt aber eine todernste Erwachsenenproblematik, die an den Festen der japanischen Gesellschaftsordnung rüttelt.
Obwohl der Film seine Charaktere durchaus ausleuchtet und plastisch auszugestalten versucht, bleibt er dennoch merkwürdig an der Oberfläche. Was daran liegt, dass er es häufig dabei belässt, sich wiederholende Klischees zu zitieren. Die verwahrloste Wohnung Aoyamas, der Rückzug in die Isolation, das ausnahmslose Geschrei des Vorgesetzten, das Rennen als Befreiung, die Hawaii-Hemden Yamamotos, und dazu: die Gegensätze zwischen trist und bunt der beiden Protagonisten, et cetera. Auch auf visueller Ebene wirkt der Film bisweilen wie ein Fernsehfilm mit seiner flachen Ausleuchtung und wenig interessanten Kameragestaltung.
Diese Kritikpunkte werden jedoch durchaus aufgewogen durch eine straffe Inszenierung und sympathische Charaktere, unter denen sich auch Haru Kuroki befndet, die Aoyamas Leid am Arbeitsplatz teilt. Auch sie steht mächtig unter Druck, gerade weil sie sein Gegenteil ist: sie ist die beste Mitarbeiterin des Teams mit den meisten Abschlüssen. Das Problem ist nur: sie muss jeden Monat die Leistung des Vormonats überbieten, damit ihr Vorgesetzter nicht sein Gesicht verliert. Behauptet er zumindest, der Tyrann. Aus diesem System gibt es kein Entkommen.
Michael Schleeh
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